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Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Schulze
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Ich will zu den Tonfiguren, bevor ich müde werde, was mir in Museen immer passiert, weil es viel zu viel zu sehen gibt. Dann sehe ich die Vitrinen mit schlafenden Hunden, weidenden Ziegen, Frauen in Sesseln, Männern auf Schemeln, Tischen, Stühlen und Vorratskrügen, alles im Miniaturformat. Auf einem Plastikschild lese ich: Dies war kein Kinderspielzeug . Aber was war es dann? Das steht nirgends.
    Ein Museum, das darüber aufklärt, was etwas nicht ist. Zuerst ärgert es mich, aber dann finde ich es gut. Man sieht die Teile und denkt: Wofür war das? Warum haben die Leute das gemacht? Dann fängt man an zu spekulieren. Spielzeug – das ist naheliegend und kommt einem als Erstes in den Sinn. Dann liest man das Schild. Ich fasse es mal so auf: Das ist kein Spielzeug, aber was es ist, wissen wir auch nicht, bitte weiter nachdenken.
    Ganz am Ende des letzten Raums sitzen der Denker und seine Frau in einem gut beleuchteten Samtkarton. Ich hatte mir die beiden anders vorgestellt, irgendwie angeschlagener, aber sie sehen aus wie neu, sind glatt und schwarz, glänzen matt im trüben Neonlicht. Genau wie auf den Bildern, die ich gesehen habe.
    In zwei Stunden beginnt der Kongress, der mit einem Vortrag eröffnet wird. Als ich wieder in meinem Zimmer bin, steige ich nach einer kalten Dusche in eine schwarze Hose, ziehe ein zerknittertes schwarzes Hemd an und hänge mir das Jackett über die Schultern. Genauso stelle ich mir eine Archäologin vor, die irgendwo in der Einöde arbeitet, ihre paar Sachen aus einer Blechkiste hervorkramt und versucht, sich ein wenig zurechtzumachen. Nur der rote Haarschopf bringt ein bisschen Leben in die Bude und bewahrt mich vor einer Anziehkrise.
    Ich fahre mit dem Taxi zum Kongress, obwohl es nur eine Station mit der U-Bahn gewesen wäre. In der Empfangshalle des Interconti ist die Luft klimatisiert, eine Wohltat nach der Hitze im Hanul Manuc, das keine Klimaanlage hat. Chrom, Leder, Halogenlämpchen und bunte Leuchtdioden bestimmen die Optik.
    Laut Kongressmappe muss ich in den ersten Stock. Über eine breite Treppe verlasse ich die Welt der 90er und 80er Jahre. Der Teppichboden im ersten Stock ist Orange, Braun und Gelb gemustert. 70er Jahre. Von der Decke baumelt ein Gehänge aus Glasröhren, das bis hinunter ins Erdgeschoss reicht. Ein Klassiker aus den 60er Jahren. Schließlich die 50er Jahre: Sessel mit braunem Plüsch bezogen, über einem Sofa eine Winterlandschaft in Öl, fehlt nur noch der röhrende Hirsch. Anything goes.
    Hinter einer bereits geschlossenen Tür ertönt gedämpftes Klatschen. Hier muss es sein. Ich trete leise ein. Der Eröffnungsvortrag: Ägyptische Lichtbräuche bei Geburten und die Deutung der Froschlampen, hat schon angefangen. Ich setze mich in die Nähe des Ausgangs. Der Vortrag ist mir unverständlich und bald schon kämpfe ich mit dem Schlaf. Kurz bevor ich endgültig einschlafe, ist der Vortrag aus. Die Zuhörer erheben sich. Alle wollen zum kalten Buffet, das vor dem Saal aufgebaut ist.
    Ich bin als Erste draußen und verschwinde hinter einem Zeitschriftenregal im Vorraum. Jetzt, wo mein Auftritt immer näher rückt, ist mir nach Verstecken, denn ich habe nicht die Spur eines Plans. Ich muss mir erst mal einen Überblick verschaffen.
    Das Regal hat keine Rückwand und ich sehe zwischen den Büchern, wie die Zuhörer aus dem Saal strömen. Fast nur ältere Männer in dunklen Anzügen, aber es gibt auch Ausnahmen. Zum Beispiel Anna Lenz im roten Etuikleid an der Seite eines Mannes im hellen Leinenanzug. Dann kommen noch zwei Leinenanzüge, drei Kostüme und zwei Bluejeans mit Tweedjacke. Das kann nur die Presse sein, die sich von der Welt der dunklen Anzüge gerne absetzt.
    Was machen die alle hier? Bevor ich darüber nachdenken kann, sehe ich Martin Fleischmann. Erst vor zwei Tagen rief ich ihn an. Von Bukarest hat er nichts gesagt. Was mache ich, wenn er mich sieht? Er kennt mich gut genug und kann das Spiel sofort beenden. Ich sollte ihn unter vier Augen sprechen, aber er ist nicht allein. Er geht mit einem Mann auf das Buffet zu, es ist Professor Goppel. Anna und eine Kollegin gehen auf mein Regal zu. Dann bleiben sie davor stehen, ohne mich zu entdecken.
    »Na, wo bleibt denn der Star des Abends?«, fragt Annas Kollegin.
    »Was für ein Star?«
    »Sag nur, du weißt nicht, wieso du hier bist?«
    »Wieso ich hier bin? Natürlich weiß ich, wieso ich hier bin. Weil mein Chef plötzlich findet, Steinzeit sei DAS Thema des 21. Jahrhunderts, der ultimative

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