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Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Schulze
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aber heiß, ich schwitze seit Stunden. Die Kellnerin bringt endlich das Bier, das ich bestellt habe. Birgul kommt zurück, ich schalte mich allmählich wieder zu, verpasse aber den Anfang seiner Rede.
    »Bei den Figuren«, erklärt er gerade, »handelt es sich übrigens um Varianten der Fischgöttin. Das ist eine Frau im Körper eines Fisches, eine Art Meerjungfrau, wenn Sie so wollen. Eine Figur dieser Art wurde anfangs nur in Lepinski Vir gefunden, das ist eine Steinzeitsiedlung an der Donau, im bulgarischen Teil. Man glaubte, sie sei eine Art Maskottchen für einen guten Fang, zumal sie an einer Feuerstelle gefunden wurde. Doch seit so viele davon aufgetaucht sind, könnten sie auch eine andere Bedeutung haben.«
    Wenn man nicht zugehört hat und das vertuschen möchte, wiederholt man einfach das zuletzt Gesagte. »Fischgöttinen, die nicht aus Lepinski Vir stammen? Das kann doch nicht sein«, sage ich im Ton einer Archäologin, der man so schnell nichts erzählt.
    »Ja, genau«, bestätigt Birgul. »Und noch merkwürdiger wird es, wenn man die Fischgöttin mit der Sintflut zusammenbringt. War sie ein Maskottchen gegen das Ertrinken? Verkörpert sie die Weisen aus dem Gilgamesch-Epos? Der Sage nach trugen sie Fischhäute, als sie nach der Sintflut aus dem Wasser stiegen. Ihr Erscheinen war der Beginn einer neuen Zeitrechnung.«
    »Sie sind also in Sachen Fischgöttin unterwegs?«
    »Ich bin in Sachen Birgul Schmitzig unterwegs, und sie sind die erste Frau in meinem Leben, der es gelingt, mir alles Mögliche zu entlocken, bevor sie auch nur einen Fliegendreck von Information auf meinen Teller gesetzt hat.«
    »Oh, da stehe ich wohl tief in Ihrer Schuld. Aber jetzt muss ich leider gehen, denn es ist schon spät und ich habe morgen einen Termin, bei dem ich fünf Jahre jünger aussehen muss, als ich mich jetzt fühle.«
    »Warum wollen erwachsene Frauen immer so wirken, als wären sie Teenager? Nichts ist für einen kultivierten Mann langweiliger als ein junges Ding, und wenn es noch so lange Beine hat. Also auf morgen Abend?«
    »Eher nicht. Vielleicht übermorgen zum Frühstück?« Zum Abschied nicke ich ihm noch einmal zu. Ob Freund oder Feind, das war ein schöner Abend. Ich lege mich ins Bett und schlafe sofort ein.
     

10
    Morgens in der Fremde. Kein Max, kein Kaffee ans Bett, kein gutes Wort. Heimweh. Was mache ich hier? Nein, ich sorge mich so früh am Tag noch nicht um Paula. Nein, ich bin nicht enttäuscht, weil sie sich nicht bei mir gemeldet hat. Woher soll sie auch wissen, dass ich hier im Hanul Manuc bin? Frühestens auf dem Kongress kann sie mich finden, sie oder jemand anders. Es ist völlig sinnlos, sich den Kopf zu zerbrechen. Paula versteckt sich und das hoffentlich gut genug. Und ich bin auf dem Weg zu ihr.
    Der Kongress beginnt erst am Nachmittag. Ich beschließe, dem Denker und seiner Frau einen Besuch abzustatten. Sie sind im Geschichtsmuseum ausgestellt, es liegt laut Stadtplan gleich um die Ecke.
    Auf dem Weg ins Museum komme ich durch das alte Bukarester Handelsviertel. Oben in den Häusern wohnen die Leute, unten haben sie ihre Geschäfte. Es gibt Haushaltswaren, Klempnerbedarf, Schreibwaren, Schuhe und Werkzeug. Frauen in gemusterten Kittelschürzen sitzen hinter Verkaufstheken aus Holz, lesen Zeitung oder schwatzen mit der Kundschaft. Die Ware liegt in Regalen hinter ihnen oder im Schaufenster. Ich bewundere die Auslage einer Drogerie. Die Schaufensterrückwand ist himmelblau mit aufgemalten Wolken. Auf einem Stück Kunstrasen hütet eine vergilbte Packung Scheuerpulver eine Herde Bürsten und Pinsel. Ein Schaf aus Stahlwolle hat sich von der Gruppe getrennt und liegt im Schatten eines staubigen Gummibaums. Zwei Stück Kernseife mit dünnen Beinen aus Kupferdraht schwärmen aus, es zu suchen.
    Das Museum ist ein Bau wie ein Raumschiff und für mich genauso unbegreiflich. Früher, so heißt es im Reiseführer, war hier die Hauptpost. So ein Koloss von einem Gebäude und das alles nur um Briefmarken zu verkaufen. Das Museum ist geöffnet, davor sitzen zwei Wachposten im Schatten. Sie stehen auf, als ich die breite Treppe zum Eingang hochsteige und öffnen mir die schwere Tür. In der Eingangshalle ist es angenehm kühl, aber auf die Dauer würde ich mir verloren vorkommen. Ich verstehe den Bretterverschlag, in dem eine Frau sitzt und Eintrittskarten verkauft.
    Die Ur- und Frühgeschichte befindet sich im zweiten Stock. Achtlos eile ich an Faustkeilen und Nähnadeln aus Tierknochen vorbei.

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