Sintflut (German Edition)
Kontrast zur virtuellen Welt. Woher wir kommen, unsere Wurzeln, das kollektive Gedächtnis, die Weltseele und so weiter. Und ich muss es ausbaden. Mir dieses Zeug anhören und dann auch noch darüber schreiben. Dabei laufen gerade die Filmfestspiele in Berlin und eine Modenschau in Mailand, von der alle sprechen. Da fährt natürlich Kollege Oberschmidt hin, der sich immer das Beste unter den Nagel reißt …«
Anna legt eine Pause ein, um etwas Luft zu holen. Die andere nutzt ihre Chance und erzählt weiter.
»Dann weißt du nicht, was hier los ist? Hast du noch nichts von Paula Petrus gehört?«
Anna hat, aber aus irgendeinem Grund sagt sie es nicht. Vielleicht denkt sie, die Kollegin wisse mehr als sie, und das erfährt sie nur, wenn sie sich dumm stellt.
»Wir sind alle seit Wochen hinter ihr her. Und mein Chef ist nicht auf dem Steinzeittrip. Er wittert einfach nur eine gute Story. Die Petrus hat irgendwas ausgebuddelt und wer das bringt, macht Auflage. Leider wussten wohl auch die anderen Chefs Bescheid. Du siehst ja, wer alles hier ist. Und das geht schon seit Wochen so. Wir kriegen diesen oder jenen Hinweis, fahren hin, schauen uns um und … nichts. Kein Interview, keine Fotos, nichts Vorzeigbares. Nur Gerüchte. Und gestern hieß es auf einmal: Sie kommt aus Deutschland her, um diesen Kongress zu besuchen. Aus Deutschland, verstehst du? Wie hat sie Rumänien verlassen können, ohne dass wir davon erfahren?«
Normalerweise wissen Presseleute, wo sich die Prominenz aufhält und wann sie wieder geht. So können sie im richtigen Moment auftauchen, ihre Fotos machen, ihre Fragen stellen und wieder verschwinden. Schlecht bezahlte Angestellte in Hotels und bei Fluggesellschaften sowie Polizei- und Flughafenbeamte liefern gegen Bares Informationen aller Art. Solche Jobs werden behandelt wie ein Fahndungsauftrag von Interpol. Darum ist die Presse oft erfolgreicher als die Polizei.
»Mit welcher Maschine ist sie denn gekommen?«, fragt Anna. Bald wird sie es erfahren, schätze ich.
»Keine Ahnung. Wenn wir gewusst hätten, wann sie ankommt, hätten wir sie gleich am Flughafen abgefangen. Aber wir wussten nur, sie hat sich hier angemeldet. Wo sie wohl bleibt?«
»Wahrscheinlich ruht sie sich erst mal aus, während wir hier rumstehen und warten. Komm«, meint Anna mit einem Achselzucken, »lass uns wenigstens was essen.«
Anna und ihre Kollegin sind weg. Und ich, Paula Petrus, verlasse die Deckung des Bücherregals und schlendere so unauffällig wie möglich auf die Kongressteilnehmer zu. Mein Plan ist, mich hinter Goppel zu stellen, Fleischmann ein Zeichen zu machen und Richtung Toilette zu verschwinden, damit er mir folgen kann.
11
Niemand beachtet mich. Nur Goppel, der alle überragt, schaut sich um, während Fleischmann auf ihn einredet. Sein Blick bleibt an meinem roten Haar hängen. Er stutzt, flüstert Fleischmann was ins Ohr, schaut wieder zu mir, lacht mich an und bewegt sich dann energisch in meine Richtung.
»Grüüüüüß Gott«, ruft er mir zu, als er noch ganz weit weg ist. Dann teilt er die zwischen uns liegende Menschenmenge wie Moses das Rote Meer und geht auf mich zu. Schließlich steht er mir gegenüber und klopft energisch auf meine wattierten Schultern. »Frau Dr. Petrus«, sagt er laut und alle können es hören. »Wie schön, Sie nach so langer Zeit einmal wieder zu sehen. Prächtig schauen Sie aus. Rumänien scheint Ihnen gut zu bekommen … ich bin schon gespannt, was es Neues gibt.«
Als ob er das nicht wüsste. Paula schickt ihm doch dauernd Berichte zu. Wahrscheinlich liest er die Sachen nur nicht. Und wie konnte sie nur dieses Getatsche ertragen. Mordlust steigt in mir hoch, aber ich muss freundlich grinsen. Nach Goppels Auftritt starren alle herüber, schauen abwechselnd auf mich und auf den großen Mann an meiner Seite. Ich hole tief Luft.
»Ich grüße Sie auch, Professor. Rumänien ist ein faszinierendes Land. Ich habe hier viel gelernt, aber ich würde vorschlagen morgen …«
Goppel gehört zu den Männern, die einen nie ausreden lassen. »Aber selbstverständlich, Frau Petrus. Ich habe Sie hier im Hotel nicht angetroffen, sonst hätte ich schon heute Vormittag den Kontakt zu Ihnen gesucht. Und da Sie sich vor dem Kongress nicht mehr bei mir gemeldet haben, nahm ich an, Sie würden ihre Arbeit draußen vor Ort nicht …«
Jetzt hat uns Fleischmann erreicht. Ich sehe, wie die Journalisten ihre Teller wegstellen und sich ebenfalls in unsere Richtung
Weitere Kostenlose Bücher