Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Schulze
Vom Netzwerk:
Weg zu ihr machen, aber ob sie sich auch auf den Weg zu mir macht, ist ungewiss. Klar, sie könnte in Slobozia auf mich warten, aber ich habe das Gefühl, sie wird genau das nicht tun. Und wenn das stimmt, ist es erst recht meine Sache, was ich bis heute Abend mache.
    Ich denke an die Landkarte, die im Museum aufgestellt war. Dunareni hieß der Ort, wo der Denker und seine Frau gefunden wurden. Er ist sogar auf meiner Straßenkarte drauf und hier ganz in der Nähe. Wo haben die Leute damals gelebt? Was haben sie gesehen, wenn sie morgens aufgestanden und aus dem Haus getreten sind? Ich schaue auf die Uhr, setze den Blinker und mache mich nach Dunareni auf.
    Von Konstanza bis zur etwa 20 Kilometer entfernten Industriestadt Basarabi herrscht starker Verkehr. Dann biege ich auf eine kleinere Landstraße ab. Anfangs überhole ich noch einige Lastwagen und sogar Reisebusse, dann lässt der Verkehr immer mehr nach. Links und rechts der Fahrbahn wachsen Pappeln, manchmal auch Birken oder Akazien. Leitplanken gibt es keine, aber alle Bäume sind unten weiß getüncht und mit Reflektoren versehen. Ich lasse die Scheiben herunter, strecke den Kopf aus dem Fenster und atme tief ein und wieder aus. Kein anderes Auto weit und breit. Ein seltenes Fahrgefühl.
    Die kleine Straße passt sich der sanft gewellten Landschaft an. Ich kenne das nur noch aus der Kinderzeit. Wir sagten »huuii« oder »huups«, wenn der Gipfel einer Welle erreicht war und wir das Gefühl hatten, abzuheben, bevor es wieder runter ging.
    Das Auto rollt friedlich dahin. Es schaukelt und vibriert, weil der Straßenbelag rau und wellig ist, aber es gibt keine Schlaglöcher. Ab und zu kommt ein Dorf, ab und zu überhole ich einen Pferdewagen. Eine Landschaft in gelb, braun und grün. Zu Mais und Sonnenblumen haben sich nun Weinreben gesellt. Hier und da ein Wäldchen, hier und da ein Flussbett. Und alles wartet auf den nächsten Regen. Die Luft ist warm, aber klar und von einer steten Brise bewegt.
    Pause in Adamclisi. Das Wahrzeichen des Dorfes ist eine meterhohe Siegessäule, die schon von Weitem zu sehen ist. Hier besiegte Kaiser Trajan die Daker, die ihm viele Jahrzehnte erbitterten Widerstand geleistet hatten. Pappeln beschatten den Parkplatz vor dem Denkmal. Ein unüberwindlicher Maschenzaun um die Säule sichert den Arbeitsplatz einer Pförtnerin, die vor ihrer Loge sitzt und strickt.
    Die Säule erzählt die Geschichte der Unterwerfung der Daker in 54 Bildern. Wie römische Soldaten kommen und viele Daker niedermetzeln. Wie die Überlebenden abgeführt werden. Wie Familien auf Ochsenkarren fliehen und von den Soldaten eingeholt werden. Wie sorgsam frisierte und nach Landessitte gekleidete Dakerfürsten schließlich vor den Kaiser treten und sich unterwerfen. Die Daker, die Geto-Daker, die Thraker lebten in Rumänien, bevor die Griechen und später die Römer das Land eroberten.
    Ich fahre weiter. In Ion Corvin biege ich auf eine noch kleinere Straße ab und nehme zwei Mädchen mit, die per Anhalter nach Aliman wollen. Was hat eine Ausländerin, die genug Geld hätte, um nach New York zu fliegen, hier zu suchen? Diese oder eine andere Frage steht in ihren Gesichtern geschrieben, aber sie können sie nicht stellen und müssen sich selber eine Antwort zurechtlegen.
     
    Die Ausländerin will nicht nach New York, aber sie will auch nicht nach Aliman. Das steht fest, als die Mädchen ausgestiegen sind und sie davonfahren sehen. Ihr Auto biegt in eine Straße ein, die noch kleiner ist als die, die nach Aliman führt und die auf der Landkarte nur noch ein hellgrauer Strich ist. Dieser Strich führt nach Dunareni und von dort weiter an der Donau entlang. Bald erreicht die Straße das Ufer, anfangs versperrt ein dichter Schilfdschungel die Sicht. Vor dem Schilf sind Boote vertäut. Ein Storchenpaar nistet auf einem Strommast. Dann kommt Dunareni. Am Ziehbrunnen holt eine Frau Wasser, während vier kleine Jungen in weitem Abstand mein Auto umkreisen. Der tapferste Junge wagt sich heran und schaut neugierig in den Kofferraum, den ich gerade aufgemacht habe. Ich gebe ihm einen Kugelschreiber. Er entfernt sich rückwärts, Schritt um Schritt, mit wachsamen Augen, auf alles gefasst. Nach einigen Metern Sicherheitsabstand dreht er sich herum und rennt zu seinen Freunden hinüber, die sich hinter einem Zaun versteckt haben. Er ist der Held des Tages, bis mal wieder ein Auto vorbeikommt. Aber das kann dauern.
    Ich weiß, man soll nichts schenken. Was dabei herauskommt,

Weitere Kostenlose Bücher