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Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Schulze
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mir doch endlich mal, was hier eigentlich gespielt wird. Ein Journalist ist tot. Er war an deiner Arbeit interessiert. Du hast mit ihm gesprochen. Andere Journalisten sind hinter dir her. Martin Fleischmann ist hier. Das machen die doch alle nicht für ein paar alte Tonfiguren.«
    »Ich kann es jetzt nicht erklären, einiges verstehe ich selbst nicht. Bitte hab Geduld und vertrau mir.«
    Damit ist die Verbindung unterbrochen. So oft ich es auch versuche, sie kommt nicht mehr zustande. Es nervt, aber wenigstens habe ich mit Paula gesprochen. Nichts wie weg nach Tirgu Neamt, ich will sie endlich in die Arme schließen.
    Bevor ich alles zusammenpacke, starte ich das Mailprogramm und schaue nach, ob ich Post habe. Eine Nachricht, aber wieder nicht von Max. Wie kann er das nur mit mir machen?
    Wieder etwas von Birgul. Er rät immer noch zur Vorsicht und erzählt von einem Rumänen, der ihm etwas Sensationelles zeigen will. Näheres möchte er mir nur unter vier Augen sagen. An seiner Nachricht hängt eine Bilddatei, diesmal ist es der Keramikmann. Offenbar hat Birgul nicht nur den Ausdruck, den er mir in Slobozia gezeigt hat, sondern auch die Datei. Und er schickt sie mir einfach so. Das ist wirklich anständig von ihm. Wieder sehe ich Hans Dietzendorf vor mir, wie intensiv er in Erlangen mein Polaroid betrachtet hat. Ich hole es aus meiner Jackentasche und lege es neben Birguls Datei.
    Die Unterschiede fallen zuerst kaum auf, aber es gibt sie. Die Figur zum Beispiel: Es ist absolut die gleiche und sie steht auch auf dem gleichen Holzsockel, aber sie wurde nicht genau von der gleichen Stelle aus aufgenommen. Oder die Wand aus dunklem Holz: Auf Birguls Bild ist etwas mehr von der Wand zu sehen. Wäre sein Bild ein Scan von meinem Polaroid, müsste jemand nachträglich ein Stück Wand dazu montiert haben, aber wozu sich die Mühe machen? All das würde nur demjenigen auffallen, der beide Bilder vor sich liegen hätte. Und all das würde nur sagen: Es gibt zwei Aufnahmen. Na und? Gerade die geringfügigen Unterschiede sprechen dafür, dass Paula noch ein zweites Foto hatte, dieses Exemplar in falsche Hände geriet und nun im Internet zirkuliert und nicht etwa Fleischmanns Kopie von meinem.
    Ich gehe auf den Balkon. Heute morgen sieht die Ebene hinter Suceava nicht halb so schön aus wie gestern nacht. Aber das ist überall auf der Welt so. Bei Tag sieht man, wie brutal die Landschaft zersiedelt ist, bei Nacht sieht man nur ein Lichtermeer. Neben meinem Fenster steht die Birke, die gestern Nacht ihre Muster an die Decke warf. Die Birke ist der häufigste Baum der Welt, habe ich mal gelesen. Ich habe das Foto in der Hand und schaue es mir nochmals genauer an. Der Himmel ist blau, wie in Birguls Datei. Es scheint Frühling zu sein, denn die Birke neben der Holzwand trägt frisches Mailaub. Es ist später Nachmittag oder früher Morgen, denn nur noch die oberen Blätter der Birke werden von der Sonne beschienen, unten steht sie im Schatten.
    Als ich ins Zimmer zurückgehe, um noch einen letzten Blick auf Birguls Bild zu werfen, hat sich der Bildschirmschoner schon eingeschaltet. Ich drücke eine beliebige Taste und das Bild ist wieder da. Da entdecke ich es: In Birguls Datei gibt es keine Blätter, die von der Sonne beschienen werden, obwohl auch auf diesem Bild die Sonne scheint. Die Birke liegt vollständig im Schatten der Holzwand. Das ist es also. Es ist so offensichtlich. Wie konnte ich es nur übersehen? Kleine Birke, große Birke – das ist der Unterschied zwischen den beiden Aufnahmen, und er lässt nur einen Schluss zu: ein Keramikmann, aber zwei Aufnahmen, die Jahre auseinander liegen.
    Als ich klein war, pflanzte unser Nachbar eine Birke in seinem Vorgarten. Als er sie 20 Jahre später absägte, weil ihm die Blätter im Herbst zu viel Arbeit machten, überragte sie sein Haus um fünf Meter. Auch die Birke auf Birguls Bild hat eine Weile gebraucht, um aus dem Schatten der Holzwand zu wachsen. Auch die Tannen auf meinem Bild sind größer als die auf dem von Birgul. Jetzt, wo ich darauf achte, sehe ich es sofort.
    Wenn aber schon früher jemand den Keramikmann gesehen und fotografiert hat, dann ist Paula nicht die Erste und nicht die Einzige. Vor 20 Jahren ging sie noch zur Schule. Und was tat Fleischmann? Er könnte damals schon an der Uni gewesen sein. Vielleicht führte ihn ein Forschungsprojekt hierher, genau wie heute Paula. Ja, er könnte das erste Foto aufgenommen haben. Aber es ergibt keinen Sinn.
    Ich

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