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Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Schulze
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ich frage mich lieber nicht, warum. Dabei bin ich ein so brauchbarer Weggefährte. Zum Beweis möchte ich Sie warnen: Das Ganze ist ein falsches Spiel, denken Sie an Hans Dietzendorf. Passen Sie auf sich auf. Ich hoffe, wir begegnen uns wieder. Ich möchte Sie mindestens noch einmal in meinem Leben ein Steak essen sehen.
    Und noch was: Hans starb bei Tirpesti. Das ist nicht weit von Tirgu Neamt entfernt. Falls Sie zufällig dorthin wollen. Kurz hinter Tirpesti wurde 1963 eine Steinzeitsiedlung gefunden. Die Fundstücke weisen Ähnlichkeiten mit der Hamangia-Kultur auf. Wahrscheinlich gab es Verbindungen. Das erstaunt nicht weiter, denn Hamangia beeinflusste viele Kulturen. Aber interessant ist: Auch in Tirpesti wurde ein Denker gefunden. Warum? Was für eine Bedeutung hatte diese Figur für die damalige Welt? Ich habe eine Zeichnung davon eingescannt und schicke sie Ihnen als Bilddatei mit.
     
    Ich kenne die Figur, Fleischmann hat sie mir gezeigt. Sie stammt von einem Künstler, der in der Nähe von Tirgu Neamt lebte. Seine Figur hat keine Ähnlichkeit mit der aus Dunareni, sondern greift nur das gleiche Thema auf: das Denken. Paula sagt immer, sobald man den Menschen der Steinzeit diese Fähigkeit zuspricht, gilt man in der Fachwelt als Esoteriker.
    Birgul schickt mir eine Mail und sogar eine Bilddatei, nur Max ist zu blöd dazu. Wie der Stich einer Mücke, die vorher auf einem Kuhfladen gesessen hat, entzündet ein Verdacht meine Gedanken: Er könnte schon, aber er will nicht. Verdattert klappe ich das Notebook zu, verstaue es auf dem Rücksitz und starte den Motor. Eine Weile stehe ich da, unfähig, den ersten Gang einzulegen, einen wüsten Verdacht im Kopf. Max? Nein, Max doch nicht. Es kann tausend Gründe haben, warum er mir noch nicht geschrieben hat.
    Ich fahre los und erreiche kurze Zeit später Tirgu Neamt, eine weitere um ihr historisches Erbe gebrachte Kleinstadt. Plattenbauten überall, aber es gibt auch Tröstliches: Ab dem Einbruch der Dämmerung sieht man überall in den Wohnungen warme Lichter brennen, denn die Rollladen- und Energiesparlampen-Seuche hat Rumänien noch nicht erfasst.
    Ich parke auf einem belebten Platz nicht weit vom Hotel Doina, in das Akan mich bestellt hat. Als ich kein bekanntes Gesicht entdecken kann, steige ich aus. Vor dem Schaufenster eines Lebensmittelgeschäfts bleibe ich stehen, um ruhiger zu werden und um zu warten, bis es richtig dunkel ist. Am liebsten würde ich mit meiner Umgebung verschmelzen. Es gibt Leute, die das können. Sie werden immer übersehen, an ihr Gesicht erinnert sich später keiner. Wenigstens gelingt es mir, dem Platz den Rücken zuzudrehen und mich nicht dauernd umzuschauen.
    Der Laden, dessen Auslagen ich betrachte, wäre groß genug, um einen Supermarkt daraus zu machen, doch der Eigentümer wollte es offenbar anders. Den Raum teilt eine breite Verkaufstheke, dahinter haben drei bis vier Verkäuferinnen Platz. Auf der Theke stehen in gleichmäßigen Abständen drei altmodische Waagen. Was hier verkauft wird, muss abgewogen werden. Es gibt Gläser mit Gebäck, Bonbons, Mehl, Zucker, Salz und eine Melonenpyramide neben einem Scheiterhaufen aus geräucherter Wurst. In den Regalen hinter der Theke warten noch mehr Gläser, Porzellantiegel, Blechdosen und andere Behälter, in denen alles Mögliche drin ist.
    Es ist jetzt fast dunkel und ich mache mich auf den Weg zum Hotel. Es ist zum Glück von Büschen und hohen Bäumen umgeben. Ich gehe um das Gebäude herum, irgendwo gibt es sicher einen Hintereingang. Im Schatten eines Baumes warte ich, ob alles ruhig bleibt. Dann öffne ich die Tür und stehe im hinteren Teil der Eingangshalle, der nur schwach beleuchtet ist. Es gibt keine Anzeichen menschlichen Lebens. Nur ein Geräusch, das ich mir nicht sofort erklären kann. Dann sehe ich die erste Blechschüssel. Sie fängt Wasser auf, das von der Decke tropft. Über die Schüssel ist sorgsam ein weißes Handtuch gebreitet, damit die Tropfen weniger Lärm machen. Dann sehe ich die anderen Blechschüsseln, und in jede tropft es rein. Jemand muss jeden Tag herumgehen, die Schüsseln ausleeren und alle Handtücher auswringen. Aber die Handtücher sind wichtig: Sie dämpfen die Musik des Verfalls und regulieren die blechernen Plings auf ein frivol klingendes Pitschen.
    Ich gehe an den Schüsseln vorbei zum Haupteingang. Die Rezeption dort ist ebenso dunkel und verlassen wie die ganze Halle, aber aus einem Seitengang schimmert Licht. Ich gehe ihn entlang und an

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