Sintflut (German Edition)
vergnügt an, »dem guten Birgul das hier unter die Nase halten und er wird mir alles glauben, was ich ihm erzähle.«
Die Figur saß in einem Pappkarton und war in ein rotes Wolltuch gewickelt. Ich holte sie vorsichtig heraus, machte das Tuch ab und stellte die Figur auf den Tisch. Es war der Keramikmann.
»Das glaube ich nicht! Ist es ein Original?«
»Nein. Aber Birgul soll es denken. Ich erzählte ihm gestern Abend von einem Versteck mit echten Hamangia-Figuren, die Künstlern aus der Gegend hier als Vorlage dienten. So ganz hat er das vielleicht nicht geschluckt, aber er will sehen, was ich ihm anzubieten habe.«
»Schade, ihn so hinters Licht zu führen. Er ist mir sympathisch.«
»Mir auch«, stimmte Akan zu, »aber er ist auch ein Schlitzohr. Im Zweifel wird er Freundschaft und Geschäft zugunsten des Geschäfts auseinander halten.«
»Also ist die Figur eine Fälschung?«
»In gewisser Weise ja. Aber anders, als du denkst. Diese Figur ist 100 Jahre alt, mehr nicht. Doch sie sieht älter aus, selbst für einen Experten wie Birgul. Der Stil, der Herstellungsprozess, das künstlerische Vorbild – all das ist wirklich alt. Die eigentliche Sensation ist nicht die Figur, sondern die Idee dahinter. Den Rest erzählt dir Paula. Ich muss jetzt gehen.«
Akan gab mir die Hand. Zum Glück war er nicht nachtragend. »Alles wird gut«, sagte er beim Hinausgehen. Ich schaltete das Licht aus und stellte mich ans Fenster. Im Zimmer war es trotzdem hell. Sechs Straßenlampen auf dem Hotelparkplatz sorgten für ein gedämpftes, orangerotes Licht. Ich schaute zu, wie Akan und Birgul in ein Auto stiegen. Kurz darauf gingen ein Mann und eine Frau zu einem schwarzen Mercedes. Der Mann kramte nach seinem Wagenschlüssel, während die Frau sich die Nase puderte. Im Schein der Straßenlampe erkannte ich Helmut Elchtaler. Die Frau hatte ich bisher noch nicht gesehen.
Vier Autos mit Journalisten folgten Birgul und Akan nach Tirpesti. Der Trick hatte funktioniert. Nur bei Fleischmann nicht. Ein Auto stand noch auf dem Parkplatz und ich hatte weder ihn noch Anna herauskommen sehen.
Inzwischen ist es hell, Akan und die anderen sind noch nicht zurück. Ich stehe wieder am Fenster und sehe Fleischmann vor dem Hotel auf und ab gehen. Die Sonne scheint und er trägt eine dunkle Brille. Ob er weiß, dass ich hier bin? Wenn ja, macht er jedenfalls keinen Gebrauch davon. Dann fährt ein Polizeiauto vor. Fleischmann winkt, steigt ein und fährt davon. Was hat das zu bedeuten?
Um mehr zu tun, als mich in diesem Zimmer zu verstecken und auf den Platz vor dem Hotel zu starren, rufe ich zum zweiten Mal in der Firma an. Ja, Gültschen Kemal-Zürgüli hat Urlaub und wird nächste Woche zurückerwartet. Ob ich eine Nachricht hinterlassen will? Nein, will ich nicht. Nur mein Herz soll aufhören, wie verrückt zu schlagen. Wie kann Max das machen? Ich habe mich an die Regeln gehalten, all die Jahre. Was für eine Verschwendung. Was für ein Schmerz.
Irgendwann kehrt Fleischmann zurück, geht ins Hotel und kommt wieder heraus, eine Aktenmappe unter dem Arm. Er sieht sich nach allen Seiten um, geht zum einzigen Auto auf dem Parkplatz, schließt es auf, stellt die Aktenmappe auf die Rückbank und will gerade einsteigen, da kommt die Rezeptionistin aus dem Hotel gelaufen und ruft ihm etwas zu. Er schlägt die Wagentür zu und folgt der Frau. Die Aktenmappe lässt er liegen.
Ohne groß zu überlegen, renne ich aus dem Zimmer. Ich halte es nicht mehr aus, tatenlos am Fenster zu stehen und mein Herz klopfen zu hören. Nun, da ich so leise wie möglich den Flur entlang und die Treppe hinunterlaufe, gibt es wenigstens einen äußeren Grund dafür. Die Spannung in meinem Inneren löst sich dadurch nicht auf, aber sie ist jetzt leichter auszuhalten.
Während ich hinabsteige, höre ich Fleischmann unten reden. Dann sehe ich ihn. Er steht mit dem Rücken zu mir an der Rezeption und telefoniert. Verstehen kann ich nichts. Hoffentlich dreht er sich nicht um. Vorsichtig gehe ich zum Hintereingang und schlüpfe hinaus ins Freie. Ich will wissen, was in der Aktenmappe ist.
Solange Fleischmann telefoniert, kann ich tun, was ich will. Ich öffne die Beifahrertür seines Autos, greife nach hinten und nehme die Mappe. Es ist nichts drin außer einer zerknüllten Plastiktüte. Als ich sie befühle, klirrt etwas darin. Ich schaue nach und sehe eine elegante Damenarmbanduhr, gemischt mit Blättern und Erdbrocken. So eine Uhr nimmt eine Frau nicht einfach
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