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Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Schulze
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Abmachung mit ihm und er hielt sich daran.«
    Es klopft wieder an der Tür. Der Besucher hat einen massigen Schädel, umrahmt von einem dichten, grauen Bart und gekrönt von ebenso dichtem, grauem Haar. Genau der Typ Mann, der in Ritterfilmen mitspielt und seinem König die Treue hält. Ein Mann, dem man sofort vertraut und dessen Freundschaft einem lohnend erscheint. Er ist muskulös und breitschultrig, aber nicht sehr groß. Seine Arme sind lang, während die Beine eher kurz geraten sind. Trotzdem passt ihm sein dunkler Anzug. Jemand hat an der Hose abgeschnitten, was zuviel war, und es an den Jackenärmeln wieder angenäht.
    »Komm rein, Bürgermeister«, grüßt Paula erfreut. »Möchtest du Kaffee?«
    »Nein danke, Paula. Wir sollten losgehen, weil meine Frau euch zum Abendessen bittet und schlechte Laune bekommt, wenn sie zu lange warten muss.«
    Der Mann spricht akzentfrei Deutsch. Einer, von dem man spontan denkt, er gehört zu den Guten … und auf deren Befehl man im Ernstfall zu hören hat. Leo Bigas ist seit zehn Jahren wieder in Pluton, wo er geboren wurde. Sein Alter verrät er nicht, aber dem Aussehen und seiner Geschichte nach muss er über 60 sein. Seine Mutter war Rumäniendeutsche und zog Anfang der 50er Jahre nach Braunschweig, wo Leo ohne Begeisterung zur Schule ging. Er schaffte mit Ach und Krach die Hauptschule und fand Arbeit bei der Stadtverwaltung. Pflegte Grünanlagen, leerte Mülleimer aus, war unzufrieden mit seinem Leben. Irgendwann engagierte er sich im Betriebsrat, bildete sich weiter, stand vor einer vielversprechenden Funktionärskarriere, als er überraschend nach Pluton zurückkehrte. »Ruf der Heimat«, begründet er heute seine Entscheidung und als vor zwei Jahren sein Vorgänger starb, kam seine Stunde: Er wurde Bürgermeister. Dann tauchte Paula auf. Und weil sie zur Hamangia-Kultur forschte, beschlossen er und der Gemeinderat, ihr das Geheimnis der Arche Noah anzuvertrauen.
    »Alles Weitere bereden wir später«, beendet Leo seine Vorstellung. Wir gehen hinaus. Akan und Paula bleiben zurück, später wollen sie hinüber zu Leos Haus humpeln. Die Luft ist frisch, es riecht nach Wald. Eine klare Nacht, und wir haben Vollmond. Es gibt keine Straßenlampen, aber die Dorfwege sind mit hellem Kies belegt und reflektieren das Mondlicht.
    Wir steigen eine Anhöhe hinauf, eine etwa drei Meter hohe Mauer kommt in Sicht und schließlich eins der allgegenwärtigen, großen Holztore. Leo holt einen Schlüssel aus seiner Jackentasche und schließt auf. Wir überqueren einen Friedhof und passieren einen Ring aus Tannen. Dann stehen wir am Rand einer Lichtung. In ihrer Mitte steht ein Schiff. Ein richtiges Schiff für viele Passagiere, bereit für eine große Fahrt. Neben dem Schiff rascheln die Blätter einer Birke im Nachtwind.
    Leo ist außer Atem, ich auch. »Das«, schnauft er, »ist die Arche Noah. Natürlich nicht die echte, aber wir haben alles so gut wie möglich nachgebaut, das wirst du noch sehen.«
    Es ist alles genau wie in meiner Kinderbibel: Über eine seitliche Treppe klettert man am Schiffsbauch hoch. Als letzte gehen Noah und seine Familie an Bord. Auch Leo und ich steigen hinauf und betreten das Deck. Jemand hat Fackeln angezündet, die eine breite Holztreppe beleuchten. Sie führt in das Innere des Schiffsbauchs und knarrt, als wir nach unten gehen. Es riecht nach Weihrauch, altem Holz und feuchtem Papier.
    Unten sind eine Reihe schlichter Holzbänke aufgestellt. An den Wänden sieht man Ställe mit je zwei Kühen, Ziegen, Schafen, Elefanten, Giraffen und Nilpferden. Die Vögel dürfen sich frei im Schiff bewegen und sitzen überall im Gebälk. Riesige Krüge enthalten das Saatgut, das man in der neuen Heimat brauchen wird, um weiterzumachen. Hacken, Schaufeln und Pflüge stehen an die Wand gelehnt.
    »Wer hat das alles zusammengebastelt?«, frage ich Leo und denke: Mussten dafür Anna und Hans Dietzendorf sterben? Ist das alles?
    »Da macht das ganze Dorf mit. Besonders die Kinder haben ihre Freude dran, mit Pappe und Kleber herumzuwerkeln und die Tiere bunt anzumalen. Als ich noch klein war, habe ich das auch gerne gemacht. Von mir ist das Nilpferd.«
    Er zeigt auf ein graues Tier mit dicken Beinen und einem Horn, das ein Loch hat. Ob das wohl mal erneuert wird? Alles ein bisschen skurril und irgendwie naiv, aber es hält seit Generationen ein ganzes Dorf zusammen, das ist doch immerhin etwas.
    Der Schiffsbauch ist so groß wie eine Dorfkirche. Der Raum wird von Fackeln

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