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Sintflut (German Edition)

Sintflut (German Edition)

Titel: Sintflut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gina Schulze
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entkorkt, leere Gläser immer wieder aufgefüllt. So war das Warten kein Problem. Birgul freundete sich mit Helmut Elchtaler an, der wie er für die italienische Oper schwärmt.
    Irgendwann ging Akan seinen Freund suchen. Dass er nicht wieder auftauchte, merkten die Gäste erst später. Alle waren betrunken, keiner wollte noch Auto fahren. Und wozu auch. Das Treffen hatte nicht stattgefunden, aber es war ein lustiger Abend und warum sollte man jetzt noch ins Hotel zurückhetzen? Ein Neffe der Wirtin, der gerade zurückgekommen war, erzählte außerdem von einer Verkehrskontrolle kurz hinter Tirpesti, das gab den Ausschlag. Bald legte sich einer nach dem anderen auf die eilig aufgestellten, vor Jahren aus einem Armeelaster gestohlenen Feldbetten und schlief seinen Rausch aus. Die Wirtin schuldete Akan noch einen Gefallen und rief ihn an, als der letzte Zecher zur Ruhe gekommen war. Darauf hatte er nur gewartet. Unverzüglich machte er sich auf den Rückweg zum Hotel Doina.
    Wir fahren weiter die Berge hinauf. Ich schaue mir die Landschaft an. Saftige Bergwiesen, Tannen, Birken, Kastanien und Eichen, dahinter ferne Bergrücken. Genau wie auf dem Polaroid. Das nächste Dorf ist Pluton. Kein Auto weit und breit, nichts verstellt den Blick auf das verwitterte, im Alter grau gewordene Holz, aus dem Häuser, Dächer und Gartenzäune gemacht sind. Ein Anblick, wie er nur entsteht, wenn alles immer wieder repariert wird – entweder aus Not oder weil die Menschen an ihren Sachen hängen und sie nicht einfach gegen etwas Neues austauschen wollen. Akan sieht jetzt wieder aus wie der nette Nachbar von nebenan.
    »Wir sind gleich da. Paula wartet schon«, sagt er lächelnd.
    Was empfinde ich in diesem Moment? Nach Tagen des Ärgers, der Angst, der Aufregung? Wenn ich es mir aussuchen könnte, würde ich mich einfach nur freuen, Paula wiederzusehen. Aber das geht nicht so einfach. Dietzendorfs und Annas Tod, der Schatz oder was auch immer, stehen zwischen uns. Ich zweifle an Paula, vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben. Außerdem läuft Fleischmann frei herum. Und dann ist da noch ein geheimnisvoller Unbekannter, der im Hintergrund agiert.
    Akan hält vor einem Bretterzaun. Von außen kann man weder Haus noch Hof sehen, es sei denn, man schaut durch eines der vielen Astlöcher. Akan öffnet ein Tor, fährt auf den Hof und macht das Tor wieder zu. Ich bleibe noch einen Augenblick sitzen, hole tief Luft und steige schließlich aus.
    Der Hof ist klein, dafür hat das Haus eine breite Veranda. Ihr Dach wird von vier Säulen getragen, die oben in Rundbögen enden. Auf dem Geländer stehen Töpfe mit bunten Sommerblumen. Akan macht sich am Auto zu schaffen, ich steige allein die ausgetretenen Stufen hinauf. Da sitzt Paula in einem Sessel, ein Bein auf einem Stuhl und gut zugedeckt, obwohl es ein warmer Tag ist. Sie lächelt, steht aber nicht auf. Wenn sie mir jemals unähnlich gewesen ist, dann jetzt. Sie ist ganz blass und noch magerer als sonst.
    »Wenn du mich umarmen willst, musst du herkommen. Ich kann leider nicht aufstehen.«
    Ich laufe zu ihr und nehme sie in die Arme. »Was ist passiert?«, frage ich und trete einen Schritt zurück.
    »Ich bin gestürzt und habe mich am Knie verletzt«, erklärt sie und schlägt die Decke zurück. Ihr linkes Bein ist bandagiert und ruhig gestellt.
    »Es wird langsam besser, aber ich muss Geduld haben und darf es noch nicht lange belasten. Bis auf Hans Dietzendorf wusste niemand, dass ich hier bin und mich praktisch nicht rühren kann.«
    »Er war hier?«
    »Ja, und wir haben geredet. Er wusste von dem Polaroid, es brachte ihn nach Pluton. Warum wollte er nicht verraten. Aber wir hatten einen Deal: Er hätte dabei sein dürfen, wenn es soweit war, dafür sollte er meinen Aufenthaltsort für sich behalten.«
    »Aber jetzt ist er tot«, sage ich, ohne das zweite Foto zu erwähnen, das mir im Moment ganz nebensächlich vorkommt. »Auch Anna musste sterben, weil sie zu dir wollte.«
    »Ich weiß. Es ist furchtbar. Und alles wegen … ach nein, ich will es nicht glauben, wieviel Unglück meine Entdeckung bringt.« Paula schließt die Augen und drückt meine Hand.
    »Vielleicht war es ja auch nicht deswegen«, ruft Akan, der unser Gespräch offenbar mitgehört hat und jetzt vor dem Geländer der Veranda auftaucht. »Anna und Martin Fleischmann hatten ein ziemlich explosives Verhältnis. Sie wollte sich durch ihn einen Vorsprung verschaffen, er nutzte das aus, sie verachtete ihn dafür. Als er ihre

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