Sintflut (German Edition)
Verachtung spürte, demütigte er sie. Sie haben sich dauernd gestritten, dafür gibt es Zeugen. Und irgendwann ist Fleischmann ausgerastet.«
»Ja, gut möglich«, räumt Paula ein, »aber ich glaube, ihr Tod hängt trotzdem mit mir zusammen.«
»Ich würde auch jetzt gerne mal was wissen …«, setze ich an, aber Paula unterbricht mich.
»Ich bin dir eine Erklärung schuldig. Aber es ist eine lange Geschichte und für mich ist sie noch nicht zu Ende. Du aber kannst morgen nach Hause, wenn du willst. Was du für mich tun solltest, hast du getan. Es ist schief gegangen, aber das ist meine Schuld. Dietzendorf und Anna würden noch leben, wenn ich dich nicht geholt hätte. Es tut mir alles sehr leid, trotzdem gebe ich jetzt nicht auf. Bevor du erfährst, was ich hier gefunden habe, sollst du dir überlegen, ob du bleiben willst oder nicht. Denn sobald du alles weißt, darfst du diese Entscheidung nicht mehr treffen. Akan zeigt dir jetzt dein Zimmer, dort kannst du eine Weile allein sein.«
Er nimmt meinen Koffer und öffnet die Haustür. Wir gehen hinein und durch einen langen Flur bis zur letzten Tür auf der rechten Seite. In den Sandsteinboden des alten Hauses haben sich die Schritte vieler Generationen eingegraben. So entstand eine Art Gehmulde und der Koffer kippt um, als Akan ihn neben einer Tür abstellt.
Das Zimmer dahinter ist klein, freundlich und sauber. Viel Holz und rotkarierte Bettwäsche, wie in einem Bergsteigerfilm. Nachdenklich packe ich ein paar Sachen aus. Wie schön wäre es normalerweise, ein paar Tage hier bei Paula zu bleiben und dann wieder nach Hause zu fahren. Aber normal gibt es für mich nicht mehr. Normal, das ist der Alltag mit seinen Gewohnheiten und Ritualen. Weltwunder, Morde und Lebenskrisen gehören nicht dazu.
Ich muss telefonieren, bevor ich weiter nachdenke, doch mein Handy ist noch im Auto. Auf dem Weg nach draußen komme ich an einer Tür vorbei, die nur angelehnt ist. Frisches Schmieröl schimmert auf den Angeln. Das war Paula, denn sie hasst quietschende Türen. Durch den Türspalt erkenne ich ein Bett, auf dem Bett liegt Paula. Ihr gesundes Bein ist fest um Akans schlanken Körper geschlungen. Sie sind beide angezogen, sehen aber so aus, als wären sie es lieber nicht. So ist das also. Ich ziehe mich leise zurück und gehe das Handy holen. Als ich wieder in meinem Zimmer bin, wähle ich die Nummer der Firma.
»Hier spricht Marlene Adler. Verbinden Sie mich bitte mit Jutta Bandelow.«
Nur über sie kann ich mehr erfahren, als ich ohnehin schon weiß. Sie meldet sich mit ihrer warmen, rauchigen Stimme. Ich komme sofort zur Sache und frage sie, wo Max ist. Zu meiner Überraschung weiß sie es auch nicht.
»Tut mir leid, Marlene, ich kann nichts für dich tun. Ich erreiche ihn nie. Sein Telefon ist immer abgeschaltet und er holt auch seine Mails nicht ab.«
»Hat er sich denn nicht bei dir gemeldet?«
»Doch ja, einmal. Vor etwa einer Woche, aber nur kurz. Seither habe ich nichts mehr von ihm gehört. Aber es ist auch wenig los bei uns und es besteht gar kein Anlass, dauernd Rücksprache zu halten.«
Sie schafft es, mich zu beruhigen: Max sei in den Bergen. Er sei glücklich, ungestört und gerne allein. Und ich wisse ja: Max und Technik. Hauptsache, es ginge ihm gut.
Die entscheidende Frage kostet mich Überwindung, denn so vertraut sind wir nun auch nicht miteinander. Vielleicht lacht hinterher die ganze Firma darüber, so wie jetzt Jutta, als ich die Türkin ins Gespräch bringe. Gültschen? Ach, wo denke ich hin. Die sei vielleicht ein wenig überdreht, flotte Sprüche, aber nichts dahinter, und wie ich Max nur so eine Dummheit zutrauen könne.
Relativ gefestigt verlasse ich mein Zimmer und rufe nach Paula, die mir aus einem Zimmer heraus antwortet, dessen Tür weit offen steht. Es ist ein Wohnzimmer. Sie sitzt mit ausgestrecktem Bein auf einem Sofa, Akan massiert ihren Nacken und hört auch nicht auf damit, als er mich reinkommen sieht. Ich nicke wissend. Eine Geschichte weniger, die noch erzählt werden muss.
»Ich will nicht nach Hause fahren«, sage ich zu den beiden. Zu meiner eigenen Überraschung, denn noch vor einer Minute habe ich genau das Gegenteil gedacht und mir ausgemalt, wie es sein wird, wenn Max von seiner Bergtour zurückkommt. Wie er mir alles erklärt, wie ich ihm verzeihe und wir dann nebeneinander im Bett liegen und uns erzählen, was wir erlebt haben. Ein schönes Bild. Dann sah ich Paula und Akan und es kam zu einer Bildstörung. Die
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