Sintflut (German Edition)
nur beraubt, sondern auch noch Fremde eingeweiht. Wir müssen sofort Leo informieren. Der wird staunen.«
Es ist spät geworden. Leo könnte längst wieder zurück sein, und Akan geht hinüber, um ihn zu holen.
Im Zimmer ist es still. Paula zuckt zusammen, als ich mit einem Plopp die zweite Flasche Wein öffne. Ich schenke uns ein und wir rauchen schweigend. Wenig später kommen die beiden Männer zurück, treten grußlos ein und setzen sich vor den Bildschirm, um das Foto anzuschauen.
»Das ist der letzte Beweis. Wir sind verraten worden, und zwar schon vor dem Erdbeben«, erklärt Leo und haut mit der Faust auf den Tisch. »Wir müssen handeln. Wer auch immer dieses Bild verbreitet hat, weiß nicht nur von der Arche Noah, sondern auch von den Originalen, darauf wette ich.« Bisher hätte er geglaubt, das ›Altweibergewäsch‹, also das Gerücht über den Schatz, stimme nur zufällig und sei entstanden, weil Paula’s Arbeit die Phantasie gewaltig anregt. Doch in Wirklichkeit wisse ein Fremder seit Jahren von dem Schatz und treibe sein Spiel mit uns.
»Was hatte Ludovico eigentlich bei sich, als ihr ihn gefunden habt?«, frage ich neugierig.
»Da ihr jetzt alles wisst, was wir wissen, habe ich euch das mal mitgebracht«, sagt Leo und zündet feierlich ein paar Kerzen an. Dann rückt er einen Tisch vor das Sofa, auf dem Paula sitzt. »Diese Figur wird seit Ludovicos Tod vom jeweiligen Bürgermeister verwahrt. Wir konnten sie ja nicht zu den anderen zurückbringen.«
Er stellt ein sackleinenes Bündel vor Paula hin. »Pack’ aus«, fordert er sie feierlich auf. »Spar dir die Vorsicht«, setzt er nach einer Weile hinzu, weil Paula mit dem Ding umgeht als sei es ein rohes Ei. »Sie ist sehr solide gemacht. Wann und wo, das wissen wir nicht. Es muss jedenfalls eine sehr reiche Periode gewesen sein.«
Paula löst endlich die Schnur, die das Gewebe festhält, und schlägt es zurück. Mein Herz macht einen Sprung, Paula’s Hand schnellt vor ihren Mund, heraus kommt ein erstickter Schrei. Es ist der Denker. Aber nicht aus Ton, sondern aus Gold. In seinen Augen funkeln zwei Saphire, als wären sie von innen beleuchtet.
20
Die erste Aufregung ist vorbei. Es ist früher Morgen, ich bin in der Küche und warte, bis das Kaffeewasser kocht. Bis zum Morgengrauen waren wir auf und rätselten. Wer hat das erste Foto gemacht? Wo war der Zugang zur Höhle? Wer brachte Hans Dietzendorf um? War es Fleischmann?
Das, was den Schatz so wertvoll macht, sind nicht nur die Originale aus Keramik, die ja schon für sich allein eine Sensation wären, sondern ihr goldener Zwilling. Irgendwann in einer Periode des Wohlstands war jemand auf die Idee gekommen, das Spiel zu veredeln. Aber dadurch wurde es auch zu einem Problem. Je mehr goldene Figuren es gab, desto wertvoller war es und desto besser musste es geschützt werden.
Weder Leo noch Akan haben den Schatz je gesehen, und aus wie vielen Teilen er wirklich bestand, wusste in Pluton niemand mehr. Alle, die ihn vor dem Erdbeben noch zu Gesicht bekommen hatten, waren inzwischen gestorben. Und ob Ludovico den Schatz vor seinem Tod genommen hatte oder nicht, wusste keiner. Man glaubte nein, weil man es glauben wollte.
Schließlich wankten wir in unsere Betten. Zuerst konnte ich kein Auge zutun, dann fiel ich in einen kurzen, flachatmigen Schlaf. Jetzt trinke ich meinen Kaffee und denke an alles, was wir zuletzt besprochen haben.
»Wir müssen die Unesco einschalten«, forderte Paula zum Beispiel, nachdem Akan überlegt hatte, einen Baustopp zu erwirken und den Schatz offiziell zu bergen. »Kannst du dir vorstellen«, fragte sie ihn aufgebracht, was passiert, wenn das Gold den rumänischen Behörden in die Hände fällt?«
»Du weißt sicher besser als ich, wie es hier in Rumänien zugeht«, giftete Akan, aber Paula überhörte den ätzenden Tonfall.
»Denk doch mal nach«, brüllte sie fast und Akan schwieg beleidigt. Paula malte uns aus, wie der Schatz erst eine Weile ausgestellt wird, dann ruft jemand einen Mann wie Birgul an und die Figuren verschwinden eine nach der anderen auf Nimmerwiedersehen in private Hände.
An diesem Punkt beendete Leo die Diskussion und wir trennten uns. Jetzt höre ich Paula und Akan den Gang entlangkommen. Sie streiten schon wieder. Akan tritt als Erster ein und nickt mir zu. Paula nimmt sich einen Kaffee. »Was für Räuberpistolen du dir ausdenkst«, sagt Akan genervt. »Wir sollen also die Figuren – vorausgesetzt, wir finden sie – außer
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