Sintflut (German Edition)
machen …«
»… und woher wisst ihr, ob die Höhle selbst nicht auch verschüttet ist?«, unterbreche ich ihn in dem vagen Gefühl, dass seine Geschichte noch nicht zu Ende ist.
Er antwortet nicht gleich. Irgendwo tropft ein Wasserhahn, knarrt eine Diele, hat ein Auto eine Fehlzündung. »Wir wissen es nicht genau, aber es spricht viel dafür«, sagt Akan schließlich. »Nach dem Erdbeben haben die damaligen Dorfältesten lange überlegt, was geschehen soll. Sie kamen zu dem Schluss, nichts zu tun und alles zu lassen, wie es war. Solange sie nicht an das Versteck herankamen, konnte es auch kein anderer. Doch dann verschwand Ludovico, der damalige Bürgermeister. Ich selbst war damals noch ein Kind. Zuerst dachten wir, er würde Verwandte besuchen und machten uns weiter keine Sorgen. Doch dann fanden wir seine Leiche in einem Waldstück unweit des Dorfes. Offenbar hatte er sich dort ausgeruht und war dann eines natürlichen Todes gestorben. Viel war nicht mehr von ihm übrig, aber da war etwas, das die Dorfältesten in helle Aufregung versetzte. Er musste in der Höhle gewesen sein, denn nur von dort konnte die Figur stammen, die er bei sich hatte. Niemand durfte etwas davon wissen und heimlich suchten die Dorfältesten jeden Zentimeter Gebirge ab, um den Zugang zu finden. Sie fanden ihn nicht und hofften, anderen würde das auch nicht gelingen.«
»Wenn Ludovico die Figur bei sich hatte, dann kann er doch die anderen …«, fängt Paula an.
Akan unterbricht sie heftig. »Das ist auch unsere größte Angst. Alle Figuren können längst weg sein und an einem Ort liegen, wo wir sie niemals finden werden.«
Was war bloß in diesen Ludovico gefahren? Hing es mit Birguls Datei zusammen, von der die beiden immer noch nichts wissen? Es ist wie in einem von diesen nervigen Krimis, wo der entscheidende Hinweis unter einem Aktenstapel landet und alles immer verfahrener wird, weil keiner auf ihn geachtet hat.
»Warum grinst du so?« Akan ist irritiert.
»Tut mir leid. Ich versuche dauernd, euch was zu sagen und ihr hört mir nicht zu. Es ist aber wichtig.«
Ich hole das Polaroid und mein Notebook. Hoffentlich ist nur das Mailprogramm kaputt. Als der Desktop sichtbar wird, atme ich auf. Ich öffne die Datei. Paula und Akan starren die beiden Bilder lange an.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragt Akan schließlich aufgebracht. Er hätte noch nie etwas von einem Fremden gehört, der hier war, die Arche gesehen hat und dort fotografieren durfte. Dass auch ausgerechnet der Freund des Denkers zweimal aufgenommen wurde, ist ihm ein Rätsel.
»Ich fand die Figur sehr aussagekräftig«, sinniert Paula. »Sie ist vor der Arche auf einem Sockel fest verankert und gibt ein schönes Motiv ab.«
»Trotzdem komisch«, sage ich. »Der Sockel ist mir übrigens gar nicht aufgefallen, als ich mit Leo dort war.«
»Jetzt ist er auch nicht da. Er ist bei Flavio zum Ausbessern«, erklärt Akan.
»Sitzt immer nur diese eine Figur auf dem Sockel?«, will ich wissen.
»Ja«, antwortet Akan. »Sie ist für den Gottesdienst dort aufgestellt worden und soll die Besucher an die Tugend des Zuhörens erinnern.«
Wenn es so viel anderes zu fotografieren gibt, ist es schon ein unglaublicher Zufall, dass beide Fotografen das gleiche Motiv gewählt haben. Na gut, denke ich mir. Bassd scho wie der Erlanger sagt, denn es gibt halt Motive, die werden immer wieder fotografiert, und das sind bei Weitem nicht nur der Eiffelturm oder die Seufzerbrücke. Ich erinnere mich an sechs junge Buchen in Nepal, da bin ich mal mit Max gewandert. Sie stehen in großer Höhe, fast schon in Tibet. Es sind die einzigen Bäume weit und breit. Deshalb fallen sie sofort auf und wahrscheinlich bleibt jeder stehen, findet sie rührend und knipst sie. So wie Max und ich auch. Als wir viele Jahre später einen Bildband über Nepal geschenkt bekamen, sahen wir die Baumgruppe wieder. Ich holte mein Foto und verglich es mit dem aus dem Bildband. Es waren dieselben Bäume, aus der gleichen Perspektive aufgenommen. Selbst das Licht war ähnlich. So wird es mit der Sockelfigur auch gewesen sein.
»Dieser Bürgermeister, den ihr im Wald gefunden habt, der hatte irgendwo auswärts Verwandte, sagst du?«, wechselt Paula jetzt das Thema.
»Ja. Er war nicht aus der Gegend. Damit hier nicht alle verblöden, müssen immer wieder auswärtige Ehepartner gefunden werden und das war nie ein Problem, soweit ich weiß. Aber Leute wie Ludovico gibt es halt überall. Er hat uns nicht
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