Sintflut (German Edition)
und das Stück Geschichte, die wir sichtbar machen? Was sind …«
»Das klingt ja wie in einem Lore-Roman«, fällt Paula ihm ins Wort.
»Du willst Klartext? Also gut, kriegst du. Natürlich sind Gold und Edelsteine für jeden eine Versuchung. Es gibt immer Leute wie Ludovico, aber man hat das offenbar im Griff gehabt, denn sonst wäre der Schatz längst weg. Die Dorfältesten sind eine verschworene Gemeinschaft. Niemand ist jünger als 60 Jahre, auch der Bürgermeister nicht. Durch unser Alter stehen wir eher über den Dingen, Gesundheit und ein langes Leben sind für uns das Wichtigste geworden. Wir tun weniger Unüberlegtes als junge Menschen. Hinzu kommt das Körperliche. Den Strapazen einer Verfolgungsjagd wären wir nicht gewachsen. Also ist das Diebstahlrisiko relativ gering. Hinzu kommt der Eid, den wir ablegen, bevor wir eingeweiht werden. Jeder Verrat wird mit dem Tod bestraft. Wäre Ludovico nicht von selbst gestorben, hätten wir ihn erledigt.«
»Das ist Selbstjustiz …«, sage ich wütend.
»Was hast du gedacht?«, erwidert Leo kalt. »Anders geht es nicht. Für unsere jungen Frauen und Männer wäre es Ehrensache, einen Verräter zu finden und hinzurichten, auch wenn sie den Grund nicht kennen. Sie wissen nur: Im Alter wartet noch etwas ganz Großes auf sie, aber schon in ihrer Jugend hatten sie es zu verteidigen. Zum Glück kam das nicht oft vor, nur zwei Fälle in einem Zeitraum von 100 Jahren sind überliefert. Wir haben den Schatz immer zusammengehalten, doch nun sind wir am Ende. Dem Staat trauen wir nicht. Er hat keinen Respekt vor der Geschichte. Du hast leider recht, Paula. Offen ausgraben können wir nur unter Aufsicht der Vereinten Nationen. Aber es würde zu lange dauern, bis wir die auf unserer Seite hätten. Deshalb meine ich: Falls wir den Schatz finden, sollten wir ihn nach Deutschland zu Viktor Kabaceu bringen. Ich kenne den Mann nicht, aber ich vertraue dir, Paula. Ich weiß, der Transfer kann schief gehen, aber es ist unsere einzige Chance.«
»Transfer? Du meinst wohl Schmuggel!«, protestiert Akan.
»Wenn du es so nennen möchtest, nur zu«, gibt Leo seelenruhig zurück. »Schmuggel ist für mich, wenn ich in die eigene Tasche wirtschafte. Ihr wärt aber nur die Überbringer, und zwar in unserem Auftrag. Je länger ich darüber nachdenke, desto vernünftiger kommt es mir vor.«
Leo ist längst fort, und ich frage mich noch immer, was Paulas Idee mit Vernunft zu tun hat. Sie braucht Glück und noch mal Glück. Sie ist ganz auf den Zufall angewiesen. Früher hätte man gesagt: Ein Wunder muss geschehen. Und dann die Verantwortung. Wer die schultert, sollte gegen jede Versuchung gefeit sein. Jeder wird mal schwach, ich muss es wissen. Auch wenn ich im Grunde ein anständiger Mensch bin.
21
In Pluton ist nichts mehr, wie es war. Akan und ich haben was gefunden, das nun auch mich davon überzeugt hat, dass wir handeln müssen. Ob vernünftig oder nicht: Paulas Idee hat sich bei den Dorfältesten durchgesetzt und ist seit gestern beschlossene Sache. Der Schatz soll geborgen werden. Wie, das wissen wir noch nicht. Gelingt es uns, soll er nach Deutschland zu Viktor Kabaceu gebracht werden. Dann wollen Paula und Akan als Vertreter Plutons Kontakt zu den Vereinten Nationen aufnehmen und dort alles Weitere vereinbaren. Der Einzige, der noch nichts davon weiß, ist Akan, weil er von unserem gestrigen Ausflug noch nicht zurück ist.
Nachdem Leo gestern gegangen war, wollte Akan die Zeit nicht mit Warten verbringen, sondern sich da umsehen, wo der Zugang vor dem Erdbeben war. Die Aktion hatte in meinen Augen den Zweck, Nervosität abzubauen und vielleicht auch, der aggressiven Paula aus dem Weg zu gehen. Sie wollte mit ihm gehen, doch er weigerte sich, weil ihr Bein noch geschont werden muss. Das kam ihm vielleicht ganz recht. Ich glaube, die Idee, den Schatz außer Landes zu bringen, macht ihm genauso zu schaffen wie mir. Er will es, aber er sieht die Gefahr und weiß nicht, wie er sie kontrollieren kann.
Statt Paula nahm er mich mit, und ich war ebenfalls dankbar für die Bewegung, die uns das verschaffte. Ich beschloss, ihn mit dem heiklen Thema Schmuggel in Ruhe zu lassen, und von selber kam er auch nicht da-rauf zu sprechen.
»Lass uns zu Fuß gehen«, schlug er gleich zu Anfang vor. »So wie früher, bevor der Jeep angeschafft wurde.«
Im Zaun auf der Rückseite unseres Hauses ist eine kleine Tür. Von da aus gelangten wir in den Wald, der gleich hinter dem Haus anfängt.
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