Sintflut (German Edition)
Warteschlange an, um an der ersten Sperre meinen Pass vorzuzeigen.
Der Flughafen Bukarest ist in seiner ganzen Breite mit einer Glaswand abgetrennt. Akan und ich können deshalb sehen, was hinter der Absperrung passiert. Paula ist an der ersten Sperre vorbei und gibt zwei prall gefüllte Plastiktüten zur Handgepäckkontrolle. Der Beamte sieht die vielen Metallteile auf seinem Bildschirm und gibt seinem Kollegen einen Wink. Als die Tüten auf der anderen Seite des Geräts wieder herauskommen, bedeutet ihr der zweite Beamte, alles auszupacken. Damit haben wir gerechnet.
Paula ist ruhig und freundlich, lächelt ganz bezaubernd und holt bereitwillig eine der vielen bunten Schachteln heraus, die in der Tüte sind. Sie öffnet Schleifen und Geschenkpapier. Eine Urlauberin aus Deutschland, die ihren Leuten daheim was Schönes mitbringt. Als Erstes packt sie eine Harley Davidson aus. Ein Prachtstück aus Messing, aber mit echten Gummireifen, roten Ledersitzen und zwei Biberschwänzen an jeder Seite des Lenkers. Als Nächstes kommt ein kleiner Eiffelturm zum Vorschein. Auch Messing, aber schwarz lackiert. Die Freiheitsstatue mit grünlicher Patina. Die Pyramiden von Gizeh, so wie sie früher ausgesehen haben, vergoldet und mit Edelsteinen auf der Spitze.
Paula packt begeistert alles aus und hält es dem Beamten entgegen. Für jeden ist etwas dabei und so tolle Sachen. Prima verarbeitet, sieht zum Teil aus wie echtes Gold. Es gibt da einen Mann in Bukarest, von dem die eifrig gestikulierende Paula dem Beamten vielleicht gerade erzählt. Und dieser Mann macht Modelle von den Ikonen der alten und neuen Welt. Alles, was irgendwie einen Namen hat und was jeder kennt. Immer mehr Nippes stapelt sich auf dem Tisch neben dem Förderband.
›Haben sie auch Kinder?‹, könnte Paula den Beamten gerade fragen.
›Ja, einen kleinen Jungen‹, mag dieser vielleicht antworten.
›In ein paar Monaten ist Weihnachten‹, würde Paula lächelnd hinzufügen.
Ich sehe, wie sie dem Mann die Harley Davidson in die Hand drückt. Ganz spontan. Mit Bestechung hat das überhaupt nichts zu tun. Möchte er auch noch die andere Tüte sehen? Oder möchte er die Freiheitsstatue dazu?
›Freiheit ist nur mit Geld zu haben‹, könnte der Beamte murmeln und die Freiheitsstatue dabei in die Hand nehmen. ›Aber die Idee von der Freiheit ist kostenlos.‹ Ein Philosoph in Uniform. Er schaut sich sorgfältig um, bevor er Harley und Freiheitsstatue in seine Jackentasche gleiten lässt. Dann winkt er Paula durch. Bei der zweiten Passkontrolle hat sie dann keine Probleme mehr. Wir sehen sie durch die Glaswand langsam zu ihrem Flugsteig gehen.
Eine halbe Stunde später bin ich dran. Mein Flug geht zwar erst in zwei Stunden, aber ich weiß ja, ich werde kontrolliert und will ihn nicht verpassen. Auch ich habe eine Plastiktüte mit Andenken und Geschenken für die Familie dabei, alles Keramik. An der Sicherheitsschleuse komme ich ohne Probleme vorbei. Doch dann kommt die Staatsgrenze. Als der Beamte meinen Pass sieht, wirft er einen Blick auf seine Fahndungsliste. Er stutzt, vergleicht noch einmal die Namen und mein Gesicht mit dem Passfoto. Dann winkt er mich durch und dürfte dabei auf einen Knopf unter seinem Tisch drücken. Akan hat mir von diesen Knöpfen erzählt, deshalb kann ich seine unauffällige Handbewegung richtig deuten. Zwei Beamte in Zivil erscheinen und stellen sich mir in den Weg. Sie nehmen mir meine Tüte ab und führen mich in ein Hinterzimmer gleich hinter der Passkontrolle.
»Frau Dr. Petrus, ich verhafte Sie wegen des Versuchs, rumänisches Kulturerbe außer Landes zu schmuggeln. Leeren Sie bitte den Inhalt Ihrer Tüte auf diesem Tisch aus«, sagt der eine von beiden.
Meine Hände zittern. Ich gebe mir keine Mühe zu verbergen, wie nervös ich bin. Bald steht der Inhalt meiner Tüte auf dem grauen Resopaltisch vor mir: der Denker und seine Frau, der Freund des Denkers, ein Hund, der zusammengerollt auf dem Boden liegt, eine Gruppe Menschen, die die Arme hochwerfen.
Dann geht die Fragerei los. Ob ich Paula Petrus heiße, ob ich Archäologin sei, ob das rumänische Figuren seien, die ich dabeihätte. Die Beamten sprechen ganz gut deutsch, und meine Antworten klingen holpriger als ihre Fragen. Ja, ich sei Archäologin. Ja, ich hätte ein Projekt in Rumänien, aber noch nicht angefangen, nur recherchiert. Ja, das seien rumänische Figuren und ich hätte sie in einem Souvenirgeschäft gekauft. Hier in Bukarest. Nein, an die Straße
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