Sintflut (German Edition)
bringen.
»Und warum schulden dir alle einen Gefallen, wenn du einen brauchst?«
Akan macht ein ernstes Gesicht. »Ich weiß nicht, ob du den Grund sonderlich mögen wirst. Paula mochte ihn nicht, aber sie hat mir verziehen. Wirst du das auch können? Sonst frag lieber nicht weiter, wir können uns jetzt keine Feindschaft erlauben.«
»Sie wird es verstehen«, verspricht Leo, der also auch Bescheid weiß.
»Versuch es mal. So schlimm kann es gar nicht sein«, sage ich unsicher.
»Doch, es ist schlimm. Aber im Moment ist es auch sehr praktisch und ich darf erst, wenn das hier vorbei ist, mit meiner Vergangenheit abschließen. Ich war Offizier beim Sicherheitsdienst Securitate. Vielleicht hast du gelesen, was diese Männer getan haben. Sie haben Leute ausspioniert und mundtot gemacht. Sie haben falsche Geständnisse erpresst, ihre Gefangenen gefoltert und viele davon getötet. Meine Aufgabe war das Abhören von verdächtigen Personen und das Sicherstellen von sogenanntem Beweismaterial, in der Regel waren das Fälschungen. Ich habe immer versucht, niemand allzu sehr zu schaden, konnte es aber oft nicht verhindern. Schließlich desertierte ich und machte bei der Revolution von 1989 mit. Doch dadurch wird meine Schuld nicht getilgt. Das wird sie niemals.«
»Leute schulden dir einen Gefallen, weil sie auch beim Geheimdienst waren und ihr euch jetzt alle gegenseitig helft?«
»Teilweise. Wir helfen uns, weil wir uns kennen. Das ist viel wert. Aber mir tun auch solche einen Gefallen, die ich rechtzeitig warnte und die sich vor ihrer Verhaftung in Sicherheit bringen konnten.«
Ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll. Normalerweise neige ich nicht zu Pauschalurteilen. Aber muss man nicht auch bei Terroristen, Faschisten und der Sicherheitspolizei von Diktatoren von Fall zu Fall urteilen?
Akan ist ein netter Kerl. Er hat uns beschützt und alles getan, um das Weltarchiv in Sicherheit zu bringen. Paula mag ihn, er mag sie. Das sind viele gute neue Seiten gegen eine schlechte alte. Außerdem ist es immer besser, wenn man sich mit dem Freund seiner Schwester verträgt. Ich werde schon irgendwie mit ihm klar kommen. Mehr fällt mir im Moment nicht dazu ein.
Leo hält an einer Bushaltestelle vor einer Kreuzung. »Ich muss euch jetzt leider verlassen.«
»Du willst nicht mit uns kommen?«, fragt Paula enttäuscht.
»Nein. Ich habe hier noch was zu erledigen und muss nach Pluton zurück. Dort warten viele Unannehmlichkeiten auf mich.« Er verabschiedet sich und wünscht uns Glück. Dann steigt er aus und überquert die Straße.
»Wie kommt er zurück?«, frage ich Akan, der sich ans Steuer setzt.
»Wie alle Rumänen«, sagt er leichthin. »Er fährt per Anhalter. Das taten die Deutschen auch, bevor der Wohlstand ausbrach.«
Auf unserer Fahrt nach Bukarest nehmen wir nur die kleinen Straßen, sie sind voller Schlaglöcher. Akan fährt die ganze Strecke, Paula und ich leiden. Spät nachts erreichen wir endlich eine Pension in der Nähe des Flughafens, die Akan von früher her kennt.
4
Den ganzen nächsten Tag liege ich mehr oder weniger im Bett und grübele vor mich hin. Über den Schatz, über Akans Plan, das Weltarchiv nach Deutschland zu schmuggeln, und natürlich über Max und mich.
Ich bin mittlerweile sicher: Er hat mich verlassen. Da wäre ich schließlich nicht die Erste, der das passiert. Das ist schlimm, sehr schlimm, aber ich denke jetzt merkwürdigerweise vor allem an die Zukunft. Was soll aus mir werden? Eines, so denke ich unablässig, ist völlig klar: Ich brauche Geld. Richtig viel Geld. Denn in meinem Alter kann ich den Wiedereinstieg ins Berufsleben glatt vergessen. Das ist eine Tatsache, keine Befürchtung.
Max könnte mir Geld geben, aber er muss nicht. Er hatte mit Frauen bis dahin immer nur Pech und deshalb bei unserer Heirat auf Gütertrennung bestanden. Ich willigte ein. Er war meine große Liebe und es schien mir nicht weiter wichtig. Vor allem aber sollte er nicht denken, ich heirate ihn auch des Geldes wegen.
Wenn er mir also was gibt, dann freiwillig. Aber auch das wäre mir nicht recht. Im Moment wünsche ich mir vor allem, dass ich auch ohne ihn klar komme, und zwar nicht irgendwie mickrig, sondern grandios. So denken wahrscheinlich alle Frauen, die bei ihren Männern auf der Abschussliste stehen. Vielleicht hängen meine Gedanken aber auch mit dem Weltarchiv zusammen, das jetzt in Paulas Zimmer unter dem Bett steht. Für eine gefallene Polizistin, besonders wenn die eigene
Weitere Kostenlose Bücher