Sintflut
Agonie und kann sich nicht zur Wehr setzen. Überall klettert man über ihre Grenzen wie über einen zerbrochenen Zaun. Was jetzt mit den Schweden passierte, ist früher nie vorgekommen! Ein Feind überfällt das Land: er begegnet nicht nur keinem Widerstande, sondern, wer nur kann, verläßt seinen früheren Herrscher und eilt, sich dem neuen zu unterwerfen. Die Magnaten, die Schlachta, das Heer, Schlösser, Städte, alle und alles, – ohne Ehre und Scham! Die Geschichte kennt kein zweites Beispiel! Pfui! In diesem Lande gibt es nur Elende ohne Gewissen und Menschenwürde! – Und dieses Land sollte nicht dem Untergange geweiht sein? – Ein solches Volk muß der Sklaverei verfallen und zum Gespött der Nachbarn werden!«
Kmicic erbleichte zusehends und konnte seine Wut kaum zurückhalten. Der Fürst aber, hingerissen von seinen eigenen Worten, beobachtete seinen Zuhörer gar nicht.
»In diesem Lande,« fuhr er fort, »gibt es eine Sitte, daß die nächsten Verwandten eines Sterbenden ihm das Kissen unter dem Kopfe wegziehen, um ihm seine langen Qualen zu verkürzen. Ich und der Fürst-Wojewod von Wilna haben beschlossen, der Republik diesen letzten Dienst zu erweisen. Aber leider hat mehr als ein Nachbar auf das Erbe sein Auge geworfen. Alles wollen wir uns auch gar nicht aneignen, wir wünschen nur etwas für uns in Sicherheit zu bringen. Ich kann es Ihnen auch anders erklären: Die Republik ist ein Stück rotes Tuch, an dessen verschiedenen Enden ziehen die Schweden, Chmielnicki, die Tataren, der Kurfürst, kurz, alle, die ringsherum wohnen. Da sagten der Fürst-Wojewod und ich uns, in unseren Händen müsse so viel vom Tuche bleiben, daß es zu einem Mantel reiche. Deshalb hindern wir nicht nur keinen am Ziehen, sondern wir ziehen mit. Mag Chmielnicki in der Ukraine bleiben, mögen die Schweden und der Kurfürst um Preußen und Groß-Polen sich streiten, möge Rakoczy Klein-Polen nehmen, Litauen muß dem Fürsten Janusz zufallen und durch seine Tochter mir!«
Kmicic erhob sich schnell von seinem Platze.
Ich danke; Euer Durchlaucht, das gerade habe ich wissen wollen!«
»Pan Kavalier, Sie gehen?«
»Ja, Durchlaucht.«
Der Fürst sah Kmicic aufmerksam an und bemerkte erst jetzt seine Blässe und Aufregung.
»Was ist Ihnen, Pan Kmicic?« fragte er. »Sie haben sich so verändert.«
»Ich bin sehr müde von der Reise und kann mich kaum auf den Beinen halten. Gestatten Sie mir, daß ich vor meiner Abreise komme, um mich von Ihnen zu verabschieden!«
»Dann tun Sie das aber bald, denn am Nachmittage breche ich auf.«
»In einer Stunde werde ich wiederkommen.«
Kmicic verbeugte sich und ging fort.
Die Dienerschaft im Vorzimmer stand bei seinem Erscheinen auf; er aber ging wie trunken, ohne jemanden zu sehen, an ihr vorbei. Auf der Schwelle griff er mit seinen beiden Händen an seinen Kopf und stöhnte: »Jesus von Nazareth, König von Juda! Jesus, Maria!«
Am Tore standen seine Leute mit dem Wachtmeister Soroka.
»Folgt mir!« rief Kmicic. Dann ging er durch den Ort zu seinem Gasthause.
Soroka, der langjährige Soldat und Diener Kmicic', hatte sogleich bemerkt, daß mit dem jungen Obersten etwas Besonderes vorging.
»Nehmt euch in acht!« flüsterte er seinen Leuten zu. »Wehe dem Haupte, über das sich sein Zorn entlädt!«
Die Soldaten beschleunigten ihre Schritte. Kmicic ging nicht, er stürmte vorwärts, fuchtelte wild mit den Händen in der Luft umher und stieß unzusammenhängende Worte aus. Zu Sorokas Ohren drangen vereinzelte Rufe, wie: Mörder! treulose Verräter! Verbrecher und Verräter! alle beide! Nachher rief Kmicic die Namen der alten Kameraden: Kokosinski, Kulwiec, Ranicki und wiederholt Wolodyjowski.
Soroka hörte das alles mit Schrecken und begann sich mehr und mehr zu beunruhigen. »Einer wird daran glauben müssen,« dachte er bei sich, »anders kann es nicht sein.« Kmicic schloß sich in seinem Zimmer ein und gab während einer ganzen Stunde kein Lebenszeichen von sich. Die Soldaten machten sich ohne seinen Befehl reisefertig und sattelten die Pferde.
»Es schadet nicht, es schadet nicht,« sagte Soroka, »wir müssen auf alles gefaßt sein.«
»Das sind wir auch,« entgegneten die alten Tollköpfe, indem sie unternehmend den Schnurrbart zwirbelten.
Es zeigte sich, daß Soroka seinen Obersten gut kannte. Dieser erschien plötzlich auf der Schwelle seines Zimmers, nur in Hemd und Beinkleidern.
»Die Pferde satteln!« schrie er laut.
»Sind schon gesattelt!«
»Das Gepäck
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