Sintflut
betrachtete mit Besorgnis die Spuren des gestrigen Tages, um so mehr, als er sich bewußt war, daß ein Ausbessern der Schäden nicht möglich war.
Am Montag morgen eröffneten die feindlichen Kanonen dasselbe mörderische Feuer, und die große Kanone vergrößerte mehr und mehr die Löcher in der Mauer. Am südlichen Tore waren schon solche Spalten, daß der Feind sich zu einem Ansturme vorbereitete. Allein die helle Nacht, die Wachsamkeit und die Treffsicherheit der Jasnogoraer Kanoniere hinderten sie daran, ihren Plan auszuführen.
Am folgenden Tage hüllte ein so dichter Nebel die Erde ein, daß man vom Kloster aus den Feind nicht sehen konnte. Die Schweden benutzten diese Gelegenheit, um näher an die Mauern heranzurücken.
Des Abends, als der Prior seinen gewöhnlichen Rundgang machte, rief ihn Pan Czarniecki zur Seite und sprach:
»Es steht schlimm um uns, ehrwürdiger Vater, die Mauer kann nicht länger als einen Tag noch halten.«
»Vielleicht wird dieser Nebel auch unsere Feinde hindern, weiter zu feuern,« entgegnete der Prior, »während dessen werden wir unsere Mauern notdürftig ausbessern.«
»Der Nebel kann sie nicht daran hindern, weiter zu schießen. Die einmal gerichteten Kanonen können sogar nachts schießen: unsere Mauer aber fällt mehr und mehr zusammen.«
»So liegt unsere einzige Hoffnung bei Gott und der heiligen Jungfrau!«
»Natürlich, natürlich! Wie aber wäre es, wenn wir einen Ausfall machten. – Es lohnt sich selbst viele Leute zu opfern, um dieser höllischen Schlange das Maul zu stopfen.«
In diesem Augenblicke trat Kmicic zu den beiden.
»Guten Abend! Und wovon ist hier die Rede?«
»Wir sprachen von jener Kanone. Pan Czarniecki schlägt vor, einen Ausfall zu wagen.« »Heiliger Vater!« sagte Pan Andreas, »seit dem ersten Schuß dieser Kanone will sie mir nicht aus dem Kopfe, und ich habe auch schon eine Idee. Ein Ausfall würde zu nichts führen. Kommen Sie mit mir, ich will Ihnen meinen Plan eröffnen.«
»Schön, gehen wir in meine Zelle.«
Einige Minuten später saßen die drei am Kieferntisch in der ärmlichen Zelle des Priors, und Pan Piotr betrachtete aufmerksam Kmicic' Gesicht.
»Ein Ausfall kann nichts nützen,« wiederholte Pan Andreas, »hier kann nur ein einzelner helfen.«
»Wieso denn?« fragte Pan Czarniecki.
»Ein mutiger Mann muß hingehen und diese Kanone sprengen. Das kann nur jetzt bei diesem Nebel gelingen. Er täte gut, sich zu verkleiden, damit er sich durch die schwedischen Wachen schleichen kann.«
»Mein Gott, was kann aber ein einziger Mann machen?«
»Man muß nur in die Mündung der Kanone einen mit Pulver gefüllten Darm hineinlegen, einen Zündfaden befestigen und ihn dann anzünden. Sobald das Pulver sich entzündet, wird die Kanone zum Teuf-, ich wollte sagen, bersten.«
»Ach, Junge, was du da alles schwatzest? Wieviel Pulver schüttet man täglich in sie, ohne daß sie platzt!«
Kmicic lachte und küßte den Ärmel des Priors.
»Ehrwürdiger Vater, Sie sind ein heiliger Mann, aber von der Artillerie verstehen Sie recht wenig. Es ist ein großer Unterschied, wo die Pulverladung hineinkommt, von vorn oder von hinten. Fragen Sie nur Pan Czarniecki danach. Wenn man einer Flinte den Lauf mit Heu vollstopft, so zerspringt er beim Schuß unfehlbar in Stücke; wie muß erst eine Kanone zerspringen, wenn man sie mit Pulver verstopft.«
»Das ist richtig, das kann jeder Soldat bezeugen,« bemerkte Pan Czarniecki.
»Und doch scheint mir das ein unausführbares Unternehmen zu sein,« sagte der Prior in Gedanken. »Zuerst schon die Frage, wer würde das Wagnis ausführen?«
»Ein Tollkopf, aber ein entschlossener Mann,« antwortete Pan Andreas, »er heißt Babinicz.«
»Sie wollten das?« riefen zugleich der Pater und Pan Czarniecki.
»Ei, heiliger Vater, ich habe Ihnen alle meine Abenteuer offenherzig gebeichtet. Sie wissen, daß ich schon manches andere gewagt habe, können Sie noch zweifeln, daß ich auch das riskieren werde?«
»Sie sind wahrhaftig ein echter Ritter!« rief Pan Piotr begeistert aus. »Wahrhaftig, ich muß Sie umarmen!«
»Wüßte ich ein anderes Mittel, so würde ich nicht gehen,« fuhr Kmicic fort, »aber es gibt kein anderes Mittel. Außerdem verstehe ich deutsch, und sie werden kaum merken, daß ich nicht ins Lager gehöre. Und da vor der Mündung niemand steht, so werde ich mit meiner Aufgabe früher fertig sein, ehe sie erraten, um was es sich handelt.«
»Pan Czarniecki, was denken Sie darüber?«
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