Sinuhe der Ägypter
Braten zerlegen, nicht aber einen Feind niederstechen kann. Sie lenken Streitwagen, ohne die Richtung einhalten zu können, und verwickeln sich in ihre eigenen Zügel und fahren mit ihren Rädern in die des Nebenwagens. Die Soldaten trinken Wein, schlafen mit den Sklavinnen des Palastes und gehorchen den Befehlen nicht. In der Kriegsschule werden alle Schriften von Männern gelesen, die weder einen Krieg gesehen noch je erfahren haben, was Hunger und Durst oder Furcht vor dem Feind sind.«
Er rasselte zornig mit seiner goldenen Halskette und sprach: »Welchen Wert haben Ketten und Ehrenzeichen, die nicht im Kampf gewonnen wurden, sondern dadurch, daß ihr Träger sich dem Pharao zu Füßen warf? Die königliche Mutter hat einen Bart um ihr Kinn gebunden und sich mit einem Löwenschweif umgürtet, doch welcher Krieger könnte eine Frau als Herrscherin verehren? Ich weiß, ich weiß«, sagte er und hob die Hand, als ich ihn an die große Königin erinnern wollte, welche Schiffe nach dem Lande Punt entsandte. »Wie es zuvor gewesen ist, soll es auch jetzt sein. Ich aber behaupte, daß man in den Tagen der großen Pharaonen einen Krieger nicht verachtete wie heute. Die Bewohner Thebens betrachten den Beruf des Kriegers als den verächtlichsten von allen, und ihre Türen bleiben den Kriegern verschlossen. Meine Zeit verrinnt nutzlos. Die Tage meiner Jugend und meiner Kraft werden vergeudet, indem ich Kriegskunst unter der Leitung von Leuten studiere, die schon beim Streitruf der Neger die Flucht ergreifen würden. Wahrlich, sie würden vor Schrecken in Ohnmacht fallen, wenn der Pfeil eines Wüstenbewohners an ihrem Ohr vorübersauste. Wahrlich, sie würden sich unter den Röcken ihrer Mütter verkriechen, sobald sie das Dröhnen angreifender Streitwagen vernähmen. Bei meinem Falken, die Geschicklichkeit eines Kriegers wächst erst im Kampf, und die Tüchtigkeit eines Mannes wird erst beim Waffengeklirr erprobt. Deshalb will ich fort von hier.« Er hieb mit der Peitsche auf den Tisch, daß die Becher umkippten und mein Diener unter Angstgeschrei davonlief.
»Mein Freund Haremhab«, sagte ich, »ich sehe jetzt doch, daß du krank bist. Deine Augen brennen wie die eines Fiebernden, und du bist in Schweiß gebadet.«
»Bin ich etwa kein Mann?« sagte er und schlug sich mit der Faust vor die Brust. »Ich vermag mit jeder Hand einen starken Sklaven zu heben und ihre Schädel einzuschlagen. Ich vermag schwere Bürden zu tragen, wie ein Soldat es können muß. Ich laufe weite Strecken, ohne zu keuchen, und fürchte weder Hunger noch Durst noch die Sonnenglut der Wüste. Doch all das empfinden sie als Schande, und die Frauen in dem goldenen Haus bewundern bloß solche Männer, die sich den Bart nicht scheren lassen müssen. Sie bewundern Männer mit schmalen Armgelenken und haarloser Brust und mädchenhaften Hüften. Sie bewundern Männer, die einen Sonnenschirm benützen und ihren Mund rot malen und sanftäugig zwitschern wie Vögel in den Bäumen. Mich verachtet man, weil ich stark und sonnengebräunt bin und weil man meinen Händen ansieht, daß sie Arbeit verrichten können.«
Er verstummte, starrte lange vor sich hin und leerte alsdann seinen Becher. »Du bist einsam, Sinuhe«, sagte er. »Auch ich bin einsam, einsamer als jeder andere, denn ich ahne, was kommen wird, und ich weiß, daß ich geboren wurde, um über viele zu befehlen, und daß die beiden Reiche mich eines Tages brauchen werden. Deshalb bin ich einsamer als alle anderen, doch halte ich die Einsamkeit nicht länger aus, Sinuhe, denn in meinem Herzen loht das Feuer, und meine Kehle ist eng geworden, und ich kann nachts nicht mehr schlafen.«
Ich war Arzt und glaubte einiges über Männer und Frauen zu wissen. Deshalb sagte ich: »Sie ist wahrscheinlich eine verheiratete Frau, und ihr Mann bewacht sie streng, nicht wahr?«
Haremhab sah mich an, und seine Augen flammten. Rasch hob ich den Becher vom Boden und schenkte ihm Wein ein. Er beruhigte sich, fuhr sich mit der Hand an die Brust und Kehle und sagte: »Ich muß fort von Theben, denn ich ersticke in diesem Dreck, und die Fliegen beschmutzen mich.« Aber dann wurde er wieder weicher, sah mich an und sprach mit leiser Stimme: »Sinuhe, du bist ein Arzt. Gib mir ein Mittel, das die Liebe überwindet.«
»Dein Wunsch ist leicht zu erfüllen«, sagte ich. »Ich kann dir Heilbeeren geben, die, in Wein gelöst, dich so stark und heiß wie einen Pavian machen, daß die Frauen in deinen Armen seufzen und die
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