Sinuhe der Ägypter
einziges Auge hätte ich hergegeben, wenn ich dir nur diesen Kummer hätte ersparen können. Aber dies ist ein böser Tag, und es ist gut, daß du kamst; denn wisse: Deine Eltern sind tot.«
»Mein Vater Senmut und meine Mutter Kipa!« sagte ich und hob die Hände, wie es der Brauch ist, und das Herz rührte sich in meiner Brust.
»Die Gerichtsdiener brachen heute ihre Tür auf, nachdem sie gestern die Zwangsräumung angekündigt hatten«, erzählte Kaptah, »aber sie lagen auf ihrem Bett und rührten sich nicht mehr. Deshalb bleibt dir noch der heutige Tag, um die Leichen in das Haus des Todes zu überführen, denn morgen wird ihr Haus auf Anordnung des neuen Besitzers abgerissen.«
»Wußten meine Eltern, warum dies geschah?« fragte ich und konnte meinem Sklaven nicht ins Gesicht sehen.
»Dein Vater Senmut kam, um dich aufzusuchen«, sagte Kaptah. »Deine Mutter führte ihn, weil er nicht mehr sah, und sie waren beide alt und gebrechlich und zitterten beim Gehen. Ich aber wußte nicht, wo du warst. Da meinte dein Vater, es sei vielleicht besser so. Und er berichtete, daß die Gerichtsdiener ihn aus seinem Hause vertrieben und Siegel auf seinen Schrein und seine Möbel gesetzt hatten, so daß sie nur noch die zerfetzten Kleider, die sie am Leibe trugen, besaßen. Und als er nach dem Grund des Geschehens fragte, sollen die Gerichtsdiener gelacht und gesagt haben: ›Dein Sohn Sinuhe hat dein Haus und die Möbel und euer Grab verkauft, um Gold für eine schlechte Frau zu beschaffene Nach langem Zögern bat dein Vater mich um ein Kupferstück, um einem Schreiber einen Brief an dich zu diktieren. Aber in deinem Haus war bereits ein neuer Herr, und gerade in jenem Augenblick kam seine Mutter, um mich zu rufen, und schlug mich mit dem Stock, weil ich meine Zeit in Gesprächen mit Bettlern vergeude. Du glaubst mir vielleicht, wenn ich dir sage, daß ich deinem Vater gern ein Kupferstück gegeben hätte, denn obgleich ich noch nicht die Gelegenheit gefunden habe, meinem neuen Herrn etwas zu entwenden, habe ich doch noch etwas von dem Kupfer und Silber übrig, das ich dir und früheren Herren gestohlen habe. Doch als ich wieder auf die Straße zurückkehrte, waren deine Eltern schon gegangen, und die Mutter meines neuen Herrn hinderte mich daran, ihnen nachzulaufen, und schloß mich über Nacht in die Feuergrube ein, damit ich nicht entweiche.«
»Mein Vater hat mir also keine Botschaft hinterlassen?« fragte ich. Und Kaptah antwortete: »Dein Vater hat dir keine Botschaft hinterlassen, Herr.«
Mein Herz war wie Stein in meiner Brust, aber meine Gedanken waren klar und ruhig wie Vögel in kalter Luft. Nach einigem Nachsinnen sagte ich zu Kaptah: »Gib mir alles Kupfer und Silber, das du noch besitzest! Gib es mir rasch, und vielleicht wird Ammon oder irgendein anderer Gott deine Tat belohnen, falls ich es nicht vermag, denn ich muß meine Eltern in das Haus des Todes überführen, und ich besitze nichts mehr, um die Balsamierung ihrer Leichen zu bezahlen.«
Kaptah begann zu weinen und wehklagen und hob wiederholt die Hände, um tiefste Trauer zu bezeigen, aber schließlich begab er sich in einen Winkel meines Gartens und blickte sich im Gehen um wie ein Hund, der einen verscharrten Knochen holen geht. In dem Winkel wälzte er einen Stein zur Seite und holte einen Tuchfetzen hervor, in den er sein Kupfer und sein Silber eingeknüpft hatte, und obgleich es die Ersparnisse seines ganzen Sklavendaseins waren, zählte alles zusammen nicht einmal zwei Deben. Aber Kaptah gab mir alles, wenn auch unter Tränen und Zeichen tiefsten Kummers, und deshalb soll er für alle Zeiten gesegnet sein und sein Leib in alle Ewigkeit erhalten bleiben.
Wohl besaß ich Freunde, und Ptahor und Haremhab hätten mir vielleicht Gold leihen können. Auch Thotmes hätte mir zu helfen vermocht, aber ich war jung und bildete mir ein, meine Schande sei bereits auf aller Zunge, und ich wäre lieber gestorben, als meinen Freunden zu begegnen. Meiner Taten wegen war ich vor den Göttern und den Menschen ein Verfluchter, und ich konnte nicht einmal Kaptah danken, denn im selben Augenblick kam die Mutter seines neuen Herrn auf die Veranda heraus und rief mit böser Stimme ihren Sklaven, und ihr Gesicht war wie das eines Krokodils, und sie trug einen Stock in der Hand. Deshalb lief Kaptah rasch von mir weg und begann bereits auf der Verandatreppe, noch ehe der Stock ihn berührt hatte, zu jammern. Diesmal brauchte er nicht zu heucheln, denn er weinte
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