Sinuhe der Ägypter
Verwunderung, und sie sagte: »O Sinuhe! Bist du wieder zu mir zurückgekehrt? Vielleicht bin ich doch noch nicht alt und häßlich, da du meiner noch nicht überdrüssig bist. Was willst du von mir?«
Ich sah sie an wie ein Verhungernder ein Stück Brot, und sie neigte ihr Haupt zur Seite und sagte zürnend: »Sinuhe, Sinuhe, du willst doch nicht wieder Wollust mit mir treiben? Zwar wohne ich allein, aber ich bin keine verachtenswerte Frau und muß auf meinen Ruf bedacht sein.«
»Gestern überließ ich dir den ganzen Besitz meines Vaters«, sagte ich. »Jetzt ist er, der früher ein geachteter Arzt war, ein armer Mann, der vielleicht in seinen alten Tagen genötigt sein wird, als Blinder um Brot zu betteln, während meine Mutter als Wäscherin dienen muß.«
»Gestern war gestern, und heute ist heute«, sagte Nefernefernefer und blinzelte mich an. »Doch will ich keine Forderungen stellen und gestatte dir gern, neben mir zu sitzen und meine Hand zu halten, falls du willst. Denn heute freut sich mein Herz, und ich will gerne meines Herzens Freude mit dir teilen, wenn ich dir auch weiter nichts gewähren kann.« Sie betrachtete mich schelmisch und lächelte und strich sich leicht über den Schoß. »Du fragst gar nicht, warum mein Herz sich freut«, sagte sie vorwurfsvoll. »Dann will ich es dir erzählen. So wisse denn, daß ein vornehmer Mann aus dem unteren Lande in unsere Stadt gekommen ist und ein goldenes Gefäß mitgebracht hat, das beinahe hundert Deben wiegt und in dessen Wände viele schöne und ergötzliche Bilder eingraviert sind. Allerdings ist er alt und so dürr, daß seine Knochen meine Lenden abscheuern werden, aber trotzdem glaube ich, daß das goldene Gefäß schon morgen mein Haus schmücken wird. Ich bin nämlich keineswegs eine verachtenswerte Frau und muß meinen Ruf bedachtsam wahren.«
Als ich nichts erwiderte, seufzte sie scheinbar tief und blickte träumerisch auf die Lotosblüten und die übrigen Blumen des Gartens. Dann entkleidete sie sich gemächlich und stieg in den Teich zum Bade. Ihr Haupt hob sich zwischen den Lotoskelchen aus dem Wasser, und sie war schöner als alle Lotosblumen. Sie ließ sich vor meinen Augen, auf dem Rücken liegend, vom Wasser tragen, die Hände im Genick verschränkt, und sagte: »Du bist sehr schweigsam heute, Sinuhe. Ich habe dich wohl nicht unbewußt gekränkt? Wenn dem so ist, will ich gerne alles tun, was ich kann, um die Kränkung wiedergutzumachen.«
Da konnte ich nicht umhin, zu sagen: »Du weißt ganz gut, was ich will, Nefernefernefer.«
»Dein Gesicht ist rot, und deine Adern schlagen an den Schläfen, Sinuhe«, sagte sie. »Wäre es nicht besser, du zögest dein Gewand aus und stiegest in den Teich, um dich abzukühlen, denn heute ist wirklich ein heißer Tag. Niemand sieht uns, und du brauchst nicht zu zögern.«
Ich zog mich aus und stieg ins Wasser neben sie, und meine Seite streifte ihre Seite. Doch wie ich sie an mich ziehen wollte, floh sie lachend und spritzte mir Wasser in die Augen. »Ich weiß schon, was du willst, Sinuhe«, sagte sie, »obwohl ich zu schüchtern bin, um dich anzusehen. Doch zuerst sollst du mir ein Geschenk machen, denn wie du weißt, bin ich kein verachtenswertes Weib.«
Ich verlor die Besinnung und rief: »Du bist verrückt, Nefernefernefer, du weißt doch, daß du mich völlig ausgeplündert hast. Ich schäme mich meiner selbst und getraue mich nie mehr, meinen Eltern in die Augen zu sehen. Aber ich bin immer noch Arzt, und mein Name steht im Buch des Lebens. Vielleicht werde ich noch einmal genug verdienen, um dir ein Geschenk zu machen, das deiner würdig ist, aber erbarme dich meiner, denn selbst im Wasser ist mein Leib wie Feuer, und ich muß mir die Hände blutig beißen, wenn ich dich betrachte.«
Sie schwamm leicht auf dem Wasser und wand sich, und ihre Brüste hoben sich wie rosige Blumen aus dem Teich. »Ein Arzt übt seinen Beruf mit den Händen und den Augen aus, nicht wahr, Sinuhe?« sagte sie. »Ohne Hände und ohne Augen könntest du kaum mehr Arzt sein, und wenn dein Name auch tausendmal im Buch des Lebens eingetragen wäre. Vielleicht würde ich am heutigen Tag mit dir essen und trinken und der Liebe genießen, wenn du dir die Augen ausstechen und die Hände abhacken lassen würdest, damit ich sie als Siegeszeichen über den Türrahmen meines Zimmers hängen könnte und meine Gäste mich achten und sehen würden, daß ich keine verachtenswerte Frau bin.«
Zwischen grüngemalten Lidern
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