Sinuhe, Sohn der Sykomore 1
liebte. Was sie besonders angezogen hatte, war seine schüchterne Zurückhaltung. In der langen Zeit, die sie einander versprochen gewesen waren, hatte er sich ihr nie aufgedrängt, sondern sie mit scheuer Ehrfurcht behandelt, als sei sie aus durchscheinendem Alabaster. Und so war sie es auch gewesen, die in der Hochzeitsnacht die Führung übernehmen musste und ihrem Mann den Weg zeigte. Seither waren schon viele Nächte vergangen, und inzwischen hatte sich Sinuhes Scheu verloren. Sie musste ihm nun nichts mehr zeigen, und immer erfüllender wurden ihre Vereinigungen. Ja, Sati war glücklich. Sie hatte den richtigen Mann gewählt. Wenn sie nun nur nicht krank würde!
Ätzender Magensaft stieg ihre Kehle hinauf. Sie legte sich auf einer Liege nieder und schickte Hori zur Köchin, damit diese ihr einen Kräuteraufguss bereite.
Kurz danach erschien Nebetanch persönlich mit der dampfenden Schale und blickte ihr prüfend ins Gesicht. »Was fehlt dir, Herrin?«
»Es ist nichts – mir ist nur ein wenig unwohl.« Sati wollte vermeiden, dass allzu viel Aufhebens um sie gemacht wurde, damit Sinuhe nichts erfuhr und sich sorgte.
Nebetanch reichte ihr die Schale.
»Na, dann trink nur, Herrin, das Gebräu kann Ochsen kurieren.«
Sati hob zweifelnd die Brauen und schnupperte mit gerümpfter Nase. Allein von dem Geruch drehte sich ihr der Magen um. »Ooooh«, machte sie und presste die Hand auf den Leib. »Ich glaube …«
Weiter kam sie nicht, denn schon entleerte sich ihr Magen erneut. Nebetanch hielt ihr fürsorglich die Haare aus dem Gesicht und streichelte ihr den Rücken. Als das Würgen endlich nachließ, schüttelte die alte Köchin den Kopf und eilte in die Küche, um ihr Putzzeug zu holen.
Mit zusammengekniffenen Lippen wischte sie das Erbrochene fort. »Es ist also nichts, sagst du«, stellte sie schließlich fest, die Hände in die ausladenden Hüften gestemmt.
Sati stöhnte nur.
»Ich glaube, wir befragen doch besser einen der gelehrten Ärzte, was sie zu Nichts zu sagen haben.«
Brummelnd watschelte sie mit dem Eimer zurück in die Küche. Sati fühlte sich zu schwach, um zu protestieren. Doch es dauerte gar nicht lange, bis die rundliche Köchin wieder zurückkehrte und ihre Herrin prüfend musterte. »Sag, wann hast du zum letzten Mal geblutet?«
»Was …?« Dann begriff die junge Frau, und Freude stieg in ihr auf. »Nebetanch, du hast recht. Was bin ich nur für ein Schaf. Natürlich.« Vorsichtig legte sie die Hände über ihren Leib. »Wir bekommen ein Kind, Liebster«, flüsterte sie.
»Eijeijei.« Nebetanch stopfte mit ein paar resoluten Handgriffen die leichte Decke um ihre Herrin herum fest. »Ich bringe dir gleich eine Schale, falls du dich nochmals übergeben musst.«
Während sie zurück an das Herdfeuer ging, dachte sie nur, dass sie sich so ein Getue mal hätte erlauben sollen, als sie noch jung und jedes Jahr erneut schwanger war. »Tja, das können sich nur die Vornehmen herausnehmen. Für uns arme Leute hat es seit je geheißen: Zähne zusammenbeißen.« Aber dann stahl sich doch ein Lächeln auf ihr Gesicht. Ein Haushalt ohne Kinder war kein fröhlicher, und sie freute sich schon darauf, das Kleine mit Leckereien zu verwöhnen.
* * *
Sinuhes neue Stellung als persönlicher Schreiber des Haremsvorstehers war eine Herausforderung für ihn. Er war Meketre zugeteilt, den er vorher nur selten zu Gesicht bekommen hatte. Für ihn versah er nun die Schreibaufgaben, aber die Position erforderte noch einiges mehr. Er hatte gehofft, der Vorsteher des Frauenhauses werde ihn einarbeiten, doch der war ihm von Anfang an mit kühler Zurückhaltung begegnet und hatte ihn ins kalte Wasser seiner Pflichten geworfen.
Als er an diesem Morgen seinen Dienst antrat, erwartete Meketre ihn bereits mit Vorwürfen, warum das Schreiben an den Gaufürsten von Waset noch nicht aufgesetzt, die Bestandsliste der Lebensmittel noch nicht geprüft und Kallas Beschwerden immer noch nicht nachgegangen worden sei.
Sinuhe seufzte und hoffte, er werde bald genug von den Aufgaben verstehen, um Meketres Wünsche vorauszusehen. Er beschloss, sich den Schreibarbeiten später zu widmen und zunächst bei den Frauen nach dem Rechten zu sehen.
»Kalla, meinen Gruß«, sprach er die fremdländische Schönheit an.
Im Frauenhaus gab es zahlreiche Damen, die von Fürsten der Fremdländer als Tribut oder Geschenk gesandt worden waren. Die meisten aber waren Töchter von Vornehmen des Schwarzen Landes, sogar manche
Weitere Kostenlose Bücher