Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe
Jahrzehnte lang. Dann übernahm der Geist des Barons wieder die Herrschaft über das Schloss – wie sich das alles im Detail zutrug, wissen wir nicht. Fest steht, dass Falkengrund lange unbewohnt blieb, bis 1978, um genau zu sein. In diesem Jahr kamen wir.“
„Wir?“
„Sir Darren und ich. Wir bauten alles auf. Damals waren wir beide noch junge Männer.“ Er blickte verträumt an den Himmel empor, als ob dieser in seiner Jugend anders ausgesehen hätte.
„Ihr kennt euch schon so lange? Ich dachte immer, Sir Darren wäre erst seit zehn Jahren oder so in Deutschland?“
„Wir sind tatsächlich alte Bekannte … alte Freunde“, verbesserte er sich schnell und verzog das Gesicht, als wäre er auch mit dieser Beschreibung nicht ganz glücklich. Jeder Schüler wusste, dass die beiden sich nicht ganz grün waren. „Er ging zwischendurch mehrmals nach England zurück und verbrachte auch Zeit in anderen Ländern. Das ändert nichts daran, dass er gewissermaßen der Gründer der Schule ist. Ohne ihn wäre dieses Gebäude hinter uns wohl immer noch das schrecklichste Spukschloss Europas. Er war es, der Lorenz von Adlerbrunn in das letzte Zimmer des Korridors gebannt und das Haus damit erst bewohnbar gemacht hat.“
Allmählich begriff Melanie, warum Sir Darren Vizerektor geworden war, obwohl Margarete Maus sich viel mehr um die Belange der Studenten zu bemühen schien. Er hatte also den Baron gebändigt. „Wie hat er das geschafft?“
„Das ist eine lange Geschichte, und wenn ich sie dir jetzt erzähle, bleibt uns keine Zeit mehr für das Wesentliche. Nur eines ist jetzt wichtig: Ein paar Jahre, bevor wir nach Falkengrund kamen, verschwanden hier vier junge Leute. Das wäre an sich nichts Besonderes, denn über die Jahrzehnte hinweg hatte es immer wieder Berichte von Menschen gegeben, die das Schloss betraten und nicht zurückkehrten. Diese Fälle wurden als abergläubische Gerüchte hingestellt. Es gab wohl keine Beweise, dass die Vermissten tatsächlich auf Falkengrund verschwunden waren, oder wenn es doch welche gab, wollte man sie nicht gelten lassen. Doch als wir hierher kamen, stießen wir auf eine Spur. Die vier letzten Opfer des Schlosses – oder besser: des Barons – waren ein Kamerateam gewesen. Und wir fanden einen Film.“
Melanie stieß einen leisen Schrei aus.
„Du hast das Team gesehen, nicht wahr, damals, als du klinisch tot warst und deine Seele Falkengrund betreten hat?“, fragte Werner.
5
Frau Kapf schloss die vielen gutaussehenden Männer, die sie auf ihrem Weg zum Supermarkt begleiteten, rasch in ihr Herz. Neben Herrn Gerstschneider gab es noch Herrn Nagy, Herrn Kaiser und Herrn Liebknecht, alles Männer rund um die Fünfzig, von hager bis vollschlank, von glatzköpfig bis schütter, und alle kandidierten sie für den Posten des Bürgermeisters. Die Plakate waren sehr unregelmäßig und beinahe zufällig über die Stadt verteilt, und seltsamerweise gesellte sich zu den drei Gerstschneiders in ihrer Straße kein einziger Nagy, Kaiser oder Liebknecht. Sicher, es war keine besonders gute Gegend, und vor einem halben Jahr war nachts schräg vor ihrem Haus eine alte Frau vergewaltigt worden (sie war damals aufgewacht und hatte die Schreie gehört, sie jedoch für die eines brünstigen Katers gehalten), doch die Herren Kandidaten sahen eigentlich alle nicht aus, als ob sie sich vor Kerlen fürchteten, die alte Frauen schändeten. Eher wirkten sie entschlossen und tatkräftig, bereit, die Bürger zu beschützen und auf den rechten Weg zu führen.
Sicherheit und Stabilität, Stabilität und Sicherheit – irgendwie kreisten alle Wahlslogans dieses Jahr um diese Begriffe, und die vier Gesichter kreisten auch darum. Das verwirrte sie nicht. Im Gegenteil – es war schön zu wissen, dass man nichts falsch machen konnte, für wen man sich auch entschied.
Als Frau Kapf eines Tages mit ihren schweren Taschen voll billigen Lebensmitteln nach Hause zurückkehrte, erschrak sie vor dem ersten Herrn Gerstschneider in der Reihe von dreien. Es war, als hätte sein Gesicht sich verändert. Er wirkte weniger resolut und energisch, eher ein bisschen intellektuell und nachdenklich. Sie sah genauer hin und stellte fest, dass ihm jemand eine dünne, runde Drahtbrille aufgemalt und das glatte Kinn mit einigen kurzen Bartstoppeln verziert hatte. Sie lachte, obwohl das neue Image des Kandidaten sie für einen Augenblick aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Natürlich – auch in der Stadt hatte sie
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