Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe
wofür?“
„Apfelernte“, erwiderte der Glatzköpfige, der wieder einmal sehr nach Winston Churchill aussah. „Ich sollte eine Hilfe haben.“
Melanies Blick ging zu Angelika, die Werner fast sehnsüchtig ansah. Nimm mich , schienen ihre großen Augen sagen zu wollen. Werner ruckte ganz leicht mit dem Kopf und presste die Lippen aufeinander. Das Zeichen war eindeutig: Sorry, es muss Melanie sein. Angelikas Wangen röteten sich. Es war noch nicht unbedingt Eifersucht, eher Unsicherheit. Melanie spürte in diesem Moment, wie sehr Angelika Werner mochte. Die Gerüchte von einem Verhältnis der beiden geisterten schon eine Weile durch die Schule. Melanie war keine Frau, die sich für Gerüchte begeisterte. Und sie sah auch nichts Ungehöriges in einer Liaison zwischen Rektor und Schülerin. Sie hielt große Stücke auf Werner und vertraute hundert Prozent auf seine Integrität. Er ließ seine persönlichen Gefühle niemals seine Entscheidungen als Rektor beeinflussen.
„Die Äpfel hinter dem Haus sind reif“, erklärte er. „Es wird höchste Zeit, sie zu ernten, ehe es zu spät ist.“
Melanie nickte und folgte ihm aus der Bibliothek hinaus. Seine Worte hatten so eindringlich geklungen, dass sie nicht anders konnte, als darin eine verborgene Botschaft zu lesen. Offenbar wollte er mit ihr reden.
Sie war gespannt, was er ihr zu sagen hatte.
3
Frau Tritschler hatte den besten Witz auf Lager, als die Plakate aufgestellt wurden. Sie beobachtete eine Weile, wie die beiden jungen Kerle drei der Holzgestelle von der Ladepritsche des weißen Kleinlasters hoben und am Straßenrand aufstellten. Sie taten es nicht besonders sorgfältig, prüften weder den sicheren Stand der dünnen Holzbeinchen, noch den Blickwinkel zur Straße. Ihnen war auf den ersten Blick anzusehen, dass sie nur gekommen waren, um etwas zu tun, wofür sie am Abend einen Lohn kassieren durften. Frau Tritschler, die sehnsüchtig jeder Abwechslung harrte, damit sie ihr monotones Kehren vor der Haustür unterbrechen konnte, verfolgte jede Bewegung der Männer, als brächten sie eine Ballettaufführung für sie dar. Dabei verlegten sie nicht einmal die Leitungen für das Kabelfernsehen, sondern brauchten gerade einmal eine Minute, um drei Wahlplakate aufzustellen.
Das Geräusch des bremsenden Lasters hatte Frau Salensky und Frau Kapf ebenfalls auf den Plan gerufen. Gasflammen waren auf klein gedreht, Teller ins Spülwasser zurückgelegt und Hände hastig am Geschirrtuch abgewischt worden. Als die beiden Schaulustigen in ihren Türen erschienen, fuhr der weiße Wagen bereits die lange, schmutzige Straße hinunter, und Frau Tritschler sah ihm nach, wie der vielkarikierte Schiffbrüchige dem Ozeandampfer, der an der Insel vorüberzieht, ohne sein Winken wahrzunehmen. Dann erst fielen die Blicke der drei Frauen auf die Objekte, die der Laster an den Wegrand gespuckt hatte.
Drei Wahlplakate, einen gutaussehenden, nicht mehr ganz jungen Mann zeigend – darunter die Worte:
SICHERHEIT UND STABILITÄT – WALTER GERSTSCHNEIDER BÜRGT FÜR ZUKUNFT!
Für einen Moment waren sie alle drei sprachlos, was nicht oft vorkam. Schließlich sagte Frau Tritschler: „Der einzigste glattrasierte Mann, den wo unsre Straße jemals gesehn hat.“
Die beiden anderen brachen in schallendes Lachen aus, Frau Salensky zeigte ihre locker stehenden, schwarzen Zähne, und Frau Kapf klatschte auf ihre dicken Schenkel und erzeugte Laute wie von Wellen, die gegen eine Mole schlagen. Alle dachten sie in dieser Sekunde an ihre drei Ehemänner, ungepflegt und unrasiert, mit fettigen, stur nach hinten gekämmten Haaren und nach Schweiß stinkenden Hemden. Frau Kapfs Mann war vor zwei Jahren noch recht jung an einem „kleinen Alkoholproblem“ gestorben, doch das hinderte sie nicht, ausgelassen über Frau Tritschlers Bemerkung zu lachen. Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen und die ganze Straße und das Leben darin mit einem Satz charakterisiert. Der einzigste glattrasierte Mann …
„Is das Bundestag oder Gemeindedingsbums?“, erkundigte sich Frau Salensky unbeholfen und fixierte das adrette Mannsbild auf dem Plakat mit nicht zu verhehlender Bewunderung.
„Quatsch, Bürgermeisterwahl is das!“, wies Frau Tritschler sie zurecht. „In zwei Monaten isses soweit. Keine Ahnung, wen man da wählen tut …“
„Ich frag immer meinen Mann“, bemerkte Frau Salensky, doch dann verschloss sie sich hastig mit der Hand den Mund, weil ihr einfiel, dass Frau Kapf neben ihr ja keinen
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