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Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Titel: Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Kritzeleien von Kindern auf den Plakaten entdeckt. Herrn Kaiser hatte gar ein Lausebengel einen spritzenden Penis zwischen die buschigen Augenbrauen gezeichnet – eines jener stark stilisierten Gebilde, die nur aus vier, fünf Strichen bestanden und bei denen man jedes Mal darüber erschrak, dass man sie überhaupt erkannte. Es war wie ein Schriftzeichen, das man noch so sehr verzerren, noch so sehr vereinfachen konnte, und das man trotzdem immer sofort richtig interpretierte. Wie ein O oder ein X, das man niemals falsch lesen konnte, wie schluderig es auch geschrieben sein mochte.
    Die Brille und die Bartstoppeln jedoch trafen sie härter als das obszöne Gekritzel auf Herrn Kaisers Stirn. Erstens deshalb, weil sie auf den ersten Blick beinahe echt gewirkt hatten, was ein männliches Glied zwischen zwei Augenbrauen niemals tun konnte – und zweitens deswegen, weil sie zu wissen glaubte, wer der anonyme Künstler war, der das Plakat so verschandelt hatte.
    Es kam eigentlich nur einer ihrer drei Söhne als Täter in Frage. Rudi, Harri oder Tommi.
    Die drei Rabauken waren passionierte Schmierer, Kleckser und Sudler. Kein Quadratzentimeter der Wohnung wurde von den wilden Malereien der Vier-, Sechs- und Siebenjährigen verschont. Sie kritzelten mit allem, was ihnen in die Finger fiel. Wie die meisten Kinder zogen sie die fettige Konsistenz der Wachsstifte und Ölkreiden allen anderen Malsachen vor, aber wenn es sein musste, schrieben sie auch mit Bleistiften oder Füllern auf die Tapeten oder schütteten Wasserfarben über die zerschlissenen Polstermöbel.
    Einst war es niedlich gewesen. Mittlerweile war es ein Problem.
    Frau Kapf redete sich ein, den richtigen Zeitpunkt versäumt zu haben, um den drei Bengeln das Herumkritzeln ein für alle Mal auszutreiben. Als ihr Mann noch gelebt hatte, hatte sie es förmlich genossen, wenn die Kinder die ohnehin katastrophale Wohnung in ein buntes, fettiges Chaos verwandelten. Jeder Kreidestrich auf den durchgetretenen Teppichen war Wasser auf ihre Mühlen gewesen. Er gab ihr neue Argumente in die Hand, die sie gegen ihren Mann, diese erbärmliche Existenz, verwenden konnte. Sie warf ihm vor, wegen seiner Sauferei seine Arbeit verloren zu haben. Das stimmte. Er erwiderte mit erhobener Stimme, dass er soff, weil er seine Arbeit verloren hatte. Auch das stimmte. Sie kreidete ihm an, dass sie in einer dreckigen, kleinen Sozialwohnung leben mussten. Sie hatte recht. Er hielt ihr vor, dass sie es nicht einmal schaffte, diese kleine Wohnung sauber zu halten. Auch er hatte recht. Ihr Streit schritt von einer Phase in die nächste, ohne einer Lösung entgegenzustreben. Es musste wohl daran liegen, dass sie beide zu gute Argumente hatten. Mit seinem Verhalten gab er ihr die besten Waffen gegen sich selbst in die Hand, und umgekehrt tat sie es genauso mit ihm.
    Und während sie sich beide in einen unlösbaren Konflikt verstrickten, gab es neben ihnen, ganz in ihrer Nähe, zwei geheimnisvolle Kräfte, die unabhängig von ihnen arbeiteten und ihnen halfen, eine Lösung zu finden. Zwei Engel sozusagen, die ihr trauriges Los nicht mehr mit anzusehen vermochten. Diese beiden Kräfte waren der Alkohol, der den Zusammenbruch von Herrn Kapf vorbereitete, und die drei ungezogenen Kinder, die wie eine Horde besonders fantasiebegabter Vandalen die Wohnung in ein farbenfrohes Tohuwabohu verwandelten und damit ebenfalls konstruktiv am Zusammenbruch von Herrn Kapf mitwirkten.
    Die einzige Lösung, die der göttlichen Vorsehung einfiel, war also sein Alkoholtod. Frau Kapf beschwerte sich bei Gott nicht darüber. Ihr schien zwar, dass jemand mit Seinen Möglichkeiten bessere Lösungen hätte finden können, aber nachdem sie sich daran gewöhnt hatte, dass sich seit Jahren alle Dinge immer nur verkomplizierten, war sie über das bisschen Klarheit, das der Tod ihres Gatten schuf, äußerst dankbar.
    Die Sache hatte nur einen kleinen Haken. Zwar verabschiedete sich Gottes Diener Alkohol nach dem Tod ihres Mannes konsequent aus ihrem Leben – sie selbst trank nach wie vor keinen Tropfen. Der zweite Faktor jedoch, den Gott geschickt hatte, um ihren Mann umzuwerfen, löste sich keineswegs in Luft auf. Die Mal-Lust ihrer Kinder fand kein Ende – im Gegenteil, sie eroberte von Jahr zu Jahr neue Dimensionen und erreichte ein Ausmaß, an dem sie nicht mehr zu stoppen schien.
    Angesichts der Tatsache, dass sie es sich nicht leisten konnte, ihren Bälgern Taschengeld zu geben, konnte man es nur erstaunlich nennen,

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