Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe
stand der Name des Verfassers: T. R. M. Paulsen (nie gehört). Darunter wieder gab es eine Grafik, in der sich mehrere Symbole aus Astrologie und Alchemie versteckten, und schließlich – winzig klein – den Vermerk „Februar 1988, 1. Auflage: 40 Exemplare“.
Melanie blätterte die Seiten durch, die aussahen wie Kopien, die man direkt von einem Schreibmaschinenmanuskript gezogen hatte. Auch die Klebung war dilettantisch; das Buch quittierte weites Öffnen mit knackenden Geräuschen.
Sie las sich an einigen Stellen fest und hatte nach einer Viertelstunde einen groben Eindruck vom Inhalt des Werks. Der Verfasser (oder verbarg sich hinter den Initialen eine Frau?) stellte die These auf, Magie wirke nicht nur durch bewusste Handlungen, sondern entstehe auch auf natürliche oder ungewollte Weise.
Sie war nicht gerade die beste Schülerin, aber wenn sie im Unterricht bisher alles richtig begriffen hatte, verstand man unter Magie die bewusste Anstrengung eines Menschen, bestimmte Ergebnisse zu erzielen. Dazu griff der Magier angeblich auf Mächte zurück, die auf Übereinstimmungen und Ähnlichkeiten zurückgingen. Mit Kröten konnte man Warzen heilen, weil Kröten Warzen hatten, mit Puppen ließen sich andere Menschen beherrschen oder töten, weil Puppen wie Menschen aussahen. Symbole und Zeichen waren in der Magie nicht einfach nur vereinfachte Abbildungen, sondern entwickelten fühlbare Kräfte. Manchmal bedeutete Magie auch das Beschwören von Dämonen, das Erwirken oder Erzwingen der Dienste höherer Mächte.
In einem von Margaretes Seminaren hatte sie gelernt, dass der Begriff „Magie“ auf die alte persische Religion des Zoroastrismus zurückging. Es gab fast unendlich viele Arten von Magie, und beinahe jede Kultur kannte eigene Formen. Eines war jedoch allen gemein: Ohne Magier konnte es keine Magie geben.
T. R. M. Paulsen vertrat nun die Auffassung, auch zufällig entstandene Konstellationen könnten eine Wirkung zeitigen. Nach dieser Vorstellung konnte eine Kröte Warzen auch dann heilen, wenn man durch Zufall mit ihr in Berührung kam, und die unabsichtliche Vernichtung einer Puppe, die zufällig Ähnlichkeit mit einer Person hatte, konnte sich unter bestimmten Voraussetzungen äußerst unangenehm auf diese auswirken.
Hatte Traude Gunkel dieses Buch dem Müll überantwortet, weil sie seine Thesen für falsch und irreführend hielt?
Melanie verstand zu wenig von der Materie, um eine Meinung zum Thema zu haben. Sie hätte auch nicht behaupten können, dass Herr oder Frau Paulsens Gedanken sie im Geringsten weitergebracht hätten bei der Zerschlagung des gordischen Knotens, vor dem sie stand. Ihr eigenes Problem – das Erlebnis während ihres klinischen Todes – hatte wohl nichts mit Magie zu tun. Eher schon mit Spiritismus, denn ihre Seele hatte sich damals offenbar aus ihrem Körper gelöst.
Sie wog das Buch in der Hand. Zurück in den Papierkorb damit? Oder dieses Werk eines modernen Okkultisten vor der Vernichtung bewahren? Wer wusste, ob davon überhaupt noch andere Exemplare existierten? Vielleicht hielt sie das letzte in den Fingern.
Melanie behielt den kleinen Band bei sich und stellte das Buch über Traumdeutung zurück an seinen Platz. Mit ihren weitgehend jungfräulichen Notizblättern unter dem Arm ging sie in den Vorraum. Dort saß Angelika an einem der PCs und schrieb wahrscheinlich wieder einmal eine ihrer Fantasy-Geschichten. Sie lächelte Melanie zu. Sollte sie ihr das Buch zeigen?
Während sie noch zögerte, öffnete sich die Tür zur Halle, und Werner Hotten kam herein. Der Rektor trug Gartenkleidung.
„Die alte Dame war aber schnell“, murmelte Melanie.
„Wie bitte?“, fragte Werner. Er winkte Angelika zu, die schüchtern den Blick abwandte.
„War unsere ehrenwerte Dozentin nicht bei dir?“
„Frau Gunkel?“ Werner machte ein erstauntes Gesicht. „Nein. Im Gegenteil – sie hat einen großen Bogen um mich gemacht, als ich vom Garten reinkam.“
„Du musst die Kleiderordnung verletzt haben“, meinte Melanie und atmete auf. Also war die Ankündigung, die Studentin beim Rektor anzuschwärzen, eine leere Drohung gewesen. Nicht, dass sie sich davor gefürchtet hätte. Ihr hätte es nur leidgetan, Werner damit in Verlegenheit zu bringen. Irgendwann würde es einmal zum großen Eklat zwischen der Gunkel und ihm kommen, und sie wollte bitte nicht der Auslöser sein.
„Melanie, hast du eine Stunde Zeit für mich?“
Diese Frage kam unerwartet. „Zeit? Sicher … aber
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