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Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe

Titel: Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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wie viele Malutensilien sie tagtäglich anschleppten. Ob sie sie stahlen oder erbettelten, bereitete ihr weniger Sorgen – das Problem war, was sie damit in der Wohnung anstellten! Frau Kapf hatte sich zwar längst an die skurrilsten Auswüchse von Rudis, Harris und Tommis Schmiersucht gewöhnt, und auch Zebrastreifen auf der Klobrille, die sich auf den Hintern abpausten, wenn man sich draufsetzte, konnten sie nicht mehr schocken. Doch war sie bislang der Meinung gewesen, manche Dinge seien einfach heilig, unantastbar.
    Nun, da täuschte sie sich.
    Der vierjährige Rudi liebte es etwa, die Borsten der Zahnbürste mit Wasserfarben einzufärben. Das Ergebnis war leicht vorzustellen. Benutzte man sie unbedacht, hatte man den Mund voll von atemberaubenden Farbeffekten. Zwar ließ sich die wasserlösliche Farbe problemlos aus verspritzten Handtüchern und Unterhemden auswaschen und durch ausdauernde Mundspülungen sogar aus den Zahnzwischenräumen hervorholen, doch die Wirkung des Schrecks in der Morgenstunde auf das tägliche Stimmungsbarometer war nicht zu unterschätzen.
    Harri, der sich lange Jahre damit begnügt hatte, die Muster auf den abgewetzten Teppichen mit kräftigeren Farben nachzuziehen, so dass man niemals durchs Zimmer gehen konnte, ohne dass einem kleine Brocken von Wachskreiden in den Socken klebten, entdeckte allmählich das Medium Papier für seine Kunst. Zeitschriften, die seine Mutter unter dem feierlichen Schwur, sie rasch zu lesen und an die nächste weiterzugeben, von der Nachbarin entliehen hatte, wurden in poppigen Grundfarben verziert. Dagmar Berghoff erhielt einen Schnurrbart, David Hasselhoff einen Atombusen, und Textstellen wurden einfach dick übermalt. Jede Rolle Toilettenpapier wurde zunächst ausgerollt, mit Fingerfarben dekoriert und dann wieder flüchtig aufgewickelt. Dagegen muteten die Kritzeleien an der Tapete wie harmlose Fingerübungen an.
    Tommi, der älteste, gab sich nicht mehr mit solchen Kindereien ab, seit er sieben geworden war. Er schmierte nicht einfach drauflos. Er war in einem Alter, in dem es ihn nicht so sehr interessierte, was er malte, sondern eher, worauf … In Schubladen, die zu öffnen ihm seine Mutter verboten hatte, fand er wichtig aussehende Dokumente wie Mietverträge, Anträge auf Sozialhilfe und Wohngeld, Ausweise, Bescheinigungen und winzige Schwarzweißfotos mit den Verwandten und Freunden seiner Mutter darauf. Auf diesen Untergründen malte er, nicht so bunt und flächig, wie seine jüngeren Brüder, sondern differenzierter, ausgefeilter. In amtliche Dokumente trug er seine Lieblingsbuchstaben ein und verschönerte die nüchternen weißen Ränder mit Zeichnungen seiner Freundin Alice. Mit zwei langen Zöpfen. Die einzigen beiden Bilder, die seine Urgroßeltern mit der ganzen Kinderschar seiner Großmutter, Großtanten und Großonkel zeigten, nahm er sich in aller Ruhe nachts unter der Bettdecke vor. Über das Ergebnis lässt sich wenig Eindeutiges sagen. Vielleicht nur so viel, dass die Bilder, nachdem er mit ihnen fertig war, ebenso gut einen afrikanischen Eingeborenenstamm hätten darstellen mögen. Mit langen Zöpfen.
    Frau Kapf war so davon in Anspruch genommen, Dinge wegzuschließen und Schränke abzusperren, dass sie kaum mehr den Haushaltspflichten nachkam. Auf der Spüle stapelte sich meist ein Berg nicht gespülten Geschirrs, und ein Flaum weißen Schimmels konkurrierte allerorten mit den Malkünsten ihrer Kinder. Strafen halfen nichts, denn die drei Bengel hatten ihre Mutter fest im Griff. Manchmal erschien es ihr sinnlos, sich gegen die ungebändigte jugendliche Energie der Kinder überhaupt anstemmen zu wollen. Über kurz oder lang würden die Mächte des Chaos ohnehin Sieger über ihr Leben werden. Eine wilde Kraft war außer Kontrolle geraten. Im Kampf dagegen stand sie auf dem Posten eines Technikers, der versuchte, das Leck in einem Atommeiler dadurch abzudichten, dass er den Finger hineinsteckte.
    Sie wäre nicht einmal fähig gewesen, einen Haushalt ohne Kinder in Ordnung zu halten, denn wo sie war, hinterließ sie selbst eine Spur von Bonbon-Papierchen, Zigarettenasche und ausgefallenen Haaren. Sie war nicht viel anders als ihre Sprösslinge, nur dass sie nicht mehr die grenzenlose zerstörerische Kraft der Jugend mitbrachte. So wie die ganzen Sozialwohnungen in diesem Block allmählich von innen verschimmelten und von außen zerbröckelten, so gewann auch in den zwei engen Zimmern und in ihrem armseligen Leben das Chaos immer mehr

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