Sir Darrens Begräbnis - Magie - Engel, Gift, Diebe
oben, im ersten Stock“, sagte Melanie mit belegter Stimme. „Einer von ihnen kam bis auf die Straße herunter. Rannte plötzlich vors Auto, verursachte den Unfall. Na ja, ich war viel zu schnell unterwegs, und … Diese Menschen sind also verschwunden?“
Werner kam eine Sprosse herab und streckte einen seiner kurzen Arme nach einem besonders roten Apfel aus. „Vor dreißig Jahren, im September 74, wollten die vier hier in der Gegend einen künstlerischen Film drehen. Ich habe ihre Namen recherchiert, aber sie werden dir nichts sagen. Würdest du bitte weiterarbeiten? Da drüben hängen noch ein paar schöne Äpfel …“
„Herrgott, Werner, warum kommandierst du mich so herum? Das ist doch nicht deine Art!“ Melanie war versucht, dem Korb einen Tritt zu geben, doch sie beherrschte sich. Es war auch nicht gerade ihre Art, Wutausbrüche zu haben. Es machte sie nur kribbelig, dauernd zu so etwas Unwichtigem wie der Apfelernte gedrängt zu werden, während sie der Auflösung dessen entgegenfieberte, was das größte Rätsel ihres Lebens darstellte. Warum tat er das? Sie hätte es verstanden, wenn er Sir Darren gewesen wäre oder die dunkle Gunkel …
„Du musst entschuldigen, aber ich habe meine Gründe“, entgegnete Werner und wandte das Gesicht ein wenig ab. „Eine Sicherheitsvorkehrung. Es ist vermutlich besser, wenn sie nicht von meinen Lippen lesen können. Ich muss annehmen, sie beobachten uns aufmerksam.“
„Wer beobachtet uns?“ Unwillkürlich sah sie sich nach allen Seiten um. Niemand war zu erkennen, und falls jemand hinter einem der Fenster stand, würde er ganz bestimmt nicht von Werners Lippen lesen können. Von dem Haus trennten sie über fünfzig Meter!
„Melanie, du musst mir zuhören. Wir fanden einen Super 8-Film. Er lag oben im ersten Stock im Korridor auf dem Boden. Da war auch eine Kamera. Der Film selbst war unbeschädigt – und was merkwürdig war: er war entwickelt! Und das, obwohl er direkt aus der Kamera gefallen zu sein schien. Wir sahen uns den Film an, Sir Darren und ich, und ich habe ihn im Laufe der letzten drei Jahrzehnte bestimmt hundert Mal eingelegt. Zu diesem Zweck habe ich extra einen dieser alten Projektoren aufbewahrt. Es war nicht einfach nur irgendein Film, Melanie. Ich habe nie etwas Vergleichbares gesehen.“
„Ich verstehe nicht. Was war denn drauf?“
Werner hielt sich an der Leiter fest, als würde ihm schwindelig. „Dieser Film zeigt zuerst ein paar Szenen aus der Umgebung. Die Leute wollten wohl eine Nacht auf dem Schloss verbringen. Am Schluss ist zu sehen, wie die vier Jugendlichen vom Geist des Barons attackiert und getötet werden. Er ist ein Dokument des Grauens.“
„Ein Gruselfilm.“
„Das sind keine Tricks – was auf dem Film zu sehen ist, könnte man vielleicht mit der heutigen Computertricktechnik bewerkstelligen. Aber vor dreißig Jahren – mit einer damals handelsüblichen Super-8-Kamera? Unmöglich!“
„Das Gespenst ist zu erkennen?“
„In aller Deutlichkeit. Kein Nebelstreif oder so etwas. So, wie du jetzt vor mir stehst. Man sieht jede Falte in seinem Gesicht, jeden Knopf an seiner Kleidung. Nachdem ich ihn so oft gesehen habe, kommt es mir fast vor, als würde ich den Baron kennen. Vielleicht begreifst du jetzt, warum Sir Darren und ich den Film geheim halten mussten.“
„Hm … Ehrlich gesagt, nein. Er wäre doch ein handfester Beweis für das Übernatürliche gewesen! Wünscht ihr euch das nicht? Sollte nicht die Öffentlichkeit endlich erfahren, dass diese Schule sich mit realen Phänomenen befasst?“
„Im Prinzip schon. Aber was, glaubst du, wäre passiert, wenn die Behörden den Streifen in die Hände bekommen hätten? Denkst du, sie hätten das Zimmer brav verschlossen gehalten, in dem Sir Darren den Geist des Barons eingesperrt hat? Denk nur einmal daran, was dieser Dirk Fachinger neulich von mir wollte. Um ein Haar hätte er mich dazu gezwungen, Lorenz auf die Welt loszulassen!“
Melanie schwieg.
„Ich hatte keine Wahl!“
„Akzeptiert“, meinte Melanie leise. „Es war bestimmt die richtige Entscheidung, niemandem davon zu erzählen. Ich … möchte den Film sehen.“
„Das geht leider nicht.“
Ihr Körper versteifte sich. „Aber ich habe ein Recht darauf! Vielleicht verrät er mir etwas über das, was ich erlebt habe.“
„Du hast jedes Recht der Welt, ihn zu sehen“, sagte Werner und kam von der Leiter herunter, um seinen vollen Korb abzustellen. Er hielt sich die Hand vor den Mund, verbarg
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