Sirenenfluch
Laufen hin und her. Das lange Haar bedeckte zur Hälfte ihren sonnengebräunten Rücken und reichte gerade bis zu ihrem fliederfarbenen trägerlosen Top.
»Die ist so verdammt heiß«, sagte Angus mehr zu sich selbst. Dann drehte er sich zu Will um. »Hey, Kumpel, ich hab mit meinem Onkel gequatscht.«
»Mit welchem Onkel?«
»Barry.«
»Ach, der.«
»Der Polizeichef. Wegen dieser …« Er senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Leiche.« Seine großen braunen Augen starrten Will an.
»Und?«
»Er wollte mir nichts sagen.«
Will schnaubte und machte sich missmutig wieder ans Bohnenpulen.
»Ja, aber kommt dir das nicht auch irgendwie seltsam vor?«
»Dass der Chef der hiesigen Polizei dem größten Klatschmaul der Stadt keine Details zu einem Mordfall verrät? Warte mal … äh, nicht wirklich, nein.«
»Mann, das ist immerhin mein Onkel. Glaub mir – an der Sache ist was faul. Das ist doch genau wie in Der weiße Hai, wo keiner will, dass die Touristen in Panik geraten, während irgendwo da draußen dieser gigantische Hai herumschwimmt. Und der liegt auf der Lauer und wartet nur darauf, dass er endlich einen leckeren kleinen Snack bekommt.«
»Du sprichst nicht zufällig von einem mechanischen Gummihai?«
»Mann.« Angus schüttelte den Kopf. »Ich sag’s dir, da ist was im Gang. Diese Stadt hat ein Geheimnis.« Er hüpfte vom Tisch herunter. »Und ich werde es herausfinden.«
»Und was, wenn dein Onkel dich einfach vor etwas schützen will?«
»Auf wessen Seite stehst du eigentlich? Ich brauche niemanden, der mich beschützt. Ich brauche Antworten.« Er winkte Will über die Schulter hinweg zu, als er zu seinem Auto ging. An der Unterseite der Karosserie ließ sich gut erkennen, bis wohin das Salz gekommen war, und der braune Rost, der nun nach und nach den Wagen hochkroch, hatte ein wellenförmiges Muster hinterlassen.
»Wir sehen uns spätestens auf Ansells Party!«, rief er und faltete seine langen Gliedmaßen zusammen, um in sein winziges Clownsauto zu steigen.
Will sparte sich die Mühe, zurückzurufen, dass er nicht vorhatte, zu dieser Party zu gehen. Mir hört doch eh keiner zu, dachte er resigniert.
»Ich meinte dann nur ›Oh, schicker Ehering‹ und ich dachte echt, der stirbt!«, sagte Trina und cremte sich die Beine mit Sonnenschutzlotion ein. »Gia hat sich fast auf dem Boden gekugelt vor Lachen und der Typ stand da wie ein begossener Pudel. Irgendwie tat er mir ja fast ein bisschen leid, aber mal ehrlich, mit einem Ehering am Finger sollte man keine Siebzehnjährigen anmachen, oder?« Sie verteilte die Sonnencreme auf beiden Armen und steckte sich das lange braune Haar hoch. Trina war zwar klein, doch sie zog mit ihren üppigen Kurven, ihrem dichten Haar und ihrer bronzefarbenen Haut stets alle Aufmerksamkeit auf sich. »Wie kann man nur so dämlich sein.«
Zoe ließ nur ein leises »Hm« verlauten, das hoffentlich so klang, als sei sie immer noch wach. Trina besuchte dieselbe Schule wie sie und hatte früher einmal zu ihren besten Freundinnen gehört. In letzter Zeit allerdings drehten sich ihre Geschichten nur noch um Partys und darum, wie verrückt die Jungs alle nach ihr waren. Wenn Zoe ihr zuhörte, wurde sie nur gereizt, also hörte sie meistens gar nicht mehr richtig hin.
Zoe rückte ihre Sonnenbrille zurecht und blickte hinaus auf die tosenden Wellen. Für Atlantikwellen waren sie ziemlich hoch. Ihr gleichmäßiger Rhythmus hatte für sie etwas Anziehendes, doch sie ließ sich nicht verleiten – es war gerade mal Saisonbeginn und das Wasser war noch sehr kalt.
Will konnte nicht begreifen, weshalb Zoe sich weigerte, im Meer zu baden. Sie hielt sich zwar gerne am Strand auf, aber nicht im Meer.
Tim hatte sich oft darüber lustig gemacht, dass Zoe noch nicht einmal in der Bucht nahe ihrem Haus schwimmen gehen wollte. Ihr Kindermädchen hatte ihr Angst eingejagt, als sie noch ein Kind gewesen war, und bis heute hielt sie stets einen gewissen Abstand zum ruhigen Wasser der Bucht ein, auch wenn das vielleicht abergläubisch war. Zoe erinnerte sich noch genau an den Tag – Will und sie mussten damals acht oder neun Jahre alt gewesen sein –, als sie mit einem Ruderboot hinausgefahren waren. Das Boot, das während eines Sturms auf ihrem Grundstück angespült worden war, war schon alt und sah ziemlich mitgenommen aus. Tim hatte es prompt zu seinem Eigentum erklärt und viel Zeit damit verbracht, es wieder instand zu setzen. Er hatte sogar extra Geld
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