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Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
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hatte. Sie sagte, sie hätte es keinesfalls vergessen. Und so ging ich. Es war das letzte Mal, dass ich sie gesehen habe.
    Als ich auf meine Insel zurückkehrte, zitterte mein kleiner Junge auf dem Boden meiner niedrigen Höhlenbehausung im Schlaf vor Kälte. Der Ausdruck tiefster Erleichterung auf seinem Gesicht, als er mich entdeckte, weckte ein seltsames Gefühl in mir. Nur was? Dankbarkeit? Glück? Vielleicht könnte man es Liebe nennen.
    Das Feuer war ausgegangen, deshalb entfachte ich es – mit allergrößter Vorsicht – erneut, und der Junge wärmte sich daran auf. Ich selbst hasste das Feuer, doch für ihn war es lebensnotwendig. Er hatte sich eine leichte Erkältung eingefangen und ich war emsig damit beschäftigt, ihn zu hegen und zu pflegen. Noch Wochen später, als er längst wieder genesen war, ließ ich ihm all meine Fürsorge angedeihen. Vermutlich sagte ich mir einfach immer wieder, er sei noch zu schwach, um zu den Menschen zurückkehren zu können. Doch im Grunde brachte ich es schlichtweg nicht übers Herz, ihn gehen zu lassen.
    Und so beschloss ich, ihn den Winter über noch bei mir zu behalten. Im Frühling würde es leichter für ihn sein, Arbeit zu finden oder womöglich sogar eine Familie, die ihn bei sich aufnahm. Ich passte auf ihn auf, gab ihm zu essen und sang ihn abends in den Schlaf.
    Als der Frühling kam, zeigte ich ihm, wie man ein Boot baut. Wir beluden es mit Vorräten und warteten auf günstiges Wetter. Dann zog ich das Boot über die Brandung bis aufs offene Meer. Ich hatte mir ein Seil gedreht, dessen eines Ende ich um meinen Bauch schlang und das andere am Boot befestigte. So zog ich das Boot bis in den Hafen. Der Junge war seinen Kleidern – die man ohnehin eher als Lumpen bezeichnen musste – mittlerweile entwachsen, und so stahl ich für ihn und mich neue Kleider.
    Mir war durchaus die vage Idee gekommen, Melia könnte womöglich eine Bleibe für meinen Jungen finden, doch ich hatte keine Ahnung, wo sie wohnte. Einen ganzen Tag lang hielt ich auf dem Markt nach ihr Ausschau, doch von ihr fehlte jede Spur. Schließlich traf ich auf einen alten Seemann und er sagte, aye, James Newkirk sei ihm in der Tat bekannt. Er brachte mich zu einem schmucken Haus, das neben weiteren großzügig geschnittenen Häusern am Rande einer von hohen Bäumen gesäumten Allee stand. Hier befand sich das Kapitänsviertel. Ich bat den Jungen, am Fuß der Treppe auf mich zu warten und betätigte den Messingklopfer.
    Eine mir nicht bekannte Frau öffnete die Tür und ich bat darum, James sprechen zu dürfen.
    Sie sagte, sie sei seine Schwester, Elisabeth. Da erst merkte ich, dass vor mir das junge Mädchen stand, das ich Monate zuvor neben Melia auf dem Markt gesehen hatte. Doch sie war kaum wiederzuerkennen – ihr Gesicht war stark gealtert, die Haut fahl und die blauen Augen von Sorgenfalten umgeben. Dennoch lag nach wie vor derselbe liebenswerte Ausdruck darin. Ich teilte ihr mit, dass ich auf der Suche nach Melia sei.
    Ein schwerer Seufzer entfuhr ihr und sie holte tief Luft. Ich konnte spüren, wie angsterfüllt, erschüttert und verzweifelt sie war.
    Man hatte Melia wegen des Vorwurfs der Hexerei festgenommen. Festgenommen … und auf die Probe gestellt. Und für schuldig befunden.
    Von einem ordentlichen Strafprozess konnte allerdings keine Rede sein. Natürlich sagten Elisabeth und James zu ihren Gunsten aus. Doch die Beweislage sprach eindeutig gegen sie. Zum einen ihr mysteriöses, plötzliches Auftauchen. Ihr Gedächtnisverlust. Ihre außergewöhnliche Schönheit. Ihr rotes Haar. Bei alldem besaß Melia noch nicht einmal mehr eine Familie, die ihr Rückhalt hätte geben können.
    Sie wurde zum Tod auf dem Scheiterhaufen verurteilt.
    Melia war bereits seit Monaten tot und ich hatte es noch nicht einmal gewusst. Mir wurde übel. Ich dachte schon, ich müsste mich übergeben, doch Elisabeth reichte mir ihren Arm. Sie sagte, sie hätte einen Brief von Melia, den ihr diese bei ihrem letzten Besuch vor dem Prozess heimlich zugeschoben hatte. Melia hatte Elisabeth angewiesen, mir den Brief zu übergeben, sollte sie mich jemals wiedersehen.
    Ich öffnete den Brief. Darin beschrieb Melia ihre Liebe zu James und ihre Angst vor dem Scheiterhaufen. ›Meine liebste Asia‹, schrieb sie. ›Bitte kümmere dich um James. Er hat getan, was in seiner Macht stand, um mich zu retten, und ich fürchte, er könnte vor Kummer vergehen. Wir beide wissen, was ihm zustoßen würde, wenn er mit solchen Gefühlen

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