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Sirenenfluch

Sirenenfluch

Titel: Sirenenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Papademetriou
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konnte Telemachos viele Leute für sich gewinnen. Sie stachen in See, um uns zu jagen. Als sie Calypsos Insel erreichten, war Calypso nicht dort, doch viele von uns wurden umgebracht. Das war eine schlimme Zeit.« Asia schloss die Augen.
    »Sie kannten die Inseln, auf denen wir lebten, und fanden uns. Deshalb zogen viele von uns aufs Meer hinaus. Die meuchlerische Rachgier in Calypsos Herzen war im Laufe der Zeit nur noch fürchterlicher geworden. So schwor sie. allen Männern Rache, die ein dunkles Herz besaßen.«
    »Aber woher wollte sie denn wissen, wer –?«
    »Das wollte ich ja gerade erläutern. Wenn du mich bitte nicht ständig unterbrechen würdest. Wir besitzen einen sechsten Sinn.«
    »Ihr könnt Gedanken lesen?«
    »Nein. Nicht Gedanken – Herzen. Emotionen. Nicht hundertprozentig, doch wir spüren, ob jemand verärgert ist, Angst hat, voller Schmerzen oder verzweifelt ist. Es ist nicht unbedingt so, dass wir auch den Grund für solche Emotionen kennen, zumal sie sich oft mit anderen vermischen, weshalb sie schwierig festzumachen sind. Doch die stärksten Gefühle teilen sich uns mit … Calypso begann, sich gegen bösartige Seeleute zur Wehr zu setzen, indem sie ihre Absichten erspürte. Und dann angriff.«
    Will musste an das Logbuch denken. Die Seeleute waren voller Angst und Groll über den Verlust von Hawken gewesen. Und zusätzlich hatte Akers noch an ihren Nerven gezerrt. War es jene düstere Furcht, jener Zorn gewesen, der die Seekrieger zu ihnen gerufen hatte?
    »Jahrelang haben Calypso und ihre Meerjungfrauen auf dem Grund des Meeres gelebt. Im Laufe der Zeit bekamen sie immer größere Augen. Ihre Haut begann zu leuchten. Sie ernähren sich von Fisch und anderen Dingen aus dem Meer – und jagen Männer.«
    »Ausschließlich Männer?«
    »Menschen«, stellte Asia richtig. »Allerdings sind – und waren – Seeleute in der Regel Männer, weshalb diese ihnen meistens zum Opfer fallen.«
    »Du redest immer nur von ihnen. «
    »Ich bin nicht wie sie.« Asia grinste gequält, sodass sich in Will der Verdacht regte, dass sie nicht ganz die Wahrheit gesagt hatte. Nicht unbedingt gelogen, wenn man es genau nahm. Schließlich glaubte er ihr, wenn sie sagte, sie sei unfähig zu lügen. Doch schließlich konnte man auch einfach Dinge auslassen. »Calypso und ihre Horde – sie sind deine Seekrieger«, klärte Asia ihn auf. »Ich zähle mich nicht zu ihnen. Zwar sind wir von derselben Art, doch unsere Absichten stimmen nicht überein. So habe ich es beispielsweise stets vorgezogen, an Land zu leben. Außerdem habe ich lange Zeit jeglichen Kontakt mit Menschen gemieden, wohingegen sie auf der Suche danach sind.«
    »Aber da steckt doch noch mehr hinter dieser Geschichte«, mutmaßte Will.
    »Oh ja«, sagte Asia mit betrübtem Blick. »Telemachos war hinter mir und meiner Schwester Melia her, doch wir schafften es, ihm und seiner Meute zu entkommen. Daraufhin wurde uns klar, dass wir unmöglich weiterhin in jenem Teil der Erde bleiben konnten. Also sind wir zu einem Land fernab von dort geschwommen, wo die Einheimischen unseresgleichen freundlicher gesinnt waren. Dort blieben wir – nur wir beide – über einen langen Zeitraum. Die Jahre vergingen: Hunderte, Tausende. Wir führten ein friedvolles Leben, andererseits war es auch sehr einsam. Wenn uns die Sehnsucht nach menschlicher Gesellschaft überkam, besuchten wir die Einheimischen, die uns freundlich empfingen. Nichtsdestotrotz sind auch tausend Jahre irgendwann einmal vorbei. Neue Menschen kamen, und obgleich sie Telemachos in Aussehen und Sprache keineswegs ähnelten, spürten wir dieselbe Flamme des Zorns in ihrem Innern. Jedoch befand sich die Insel, auf der wir lebten, fernab der neuen Siedlungen, und wenn wir hinausschwammen, begaben wir uns nie in ihre Nähe. Die prachtvollen Schiffe mit den vielen weißen Segeln glitten wie Schwäne an uns vorüber.
    Eines Abends tobte draußen auf dem Meer ein gewaltiger Sturm. Blitze zuckten über den dunklen Himmel. Die Wellen stürzten sich mit voller Wucht gegen die Uferfeisen. Der Regen prasselte unerbittlich auf das Meer herab, als wollte er seinen ärgsten Feind in Schach halten.
    Es zieht unsereins bei stürmischem Wetter oft hinaus aufs offene Meer – früher bezeichneten die Seeleute einen Hurrikan auch als Sirenensturm. Warum es uns inmitten des schlimmsten Unwetters ins Wasser zieht, kann ich auch nicht sagen. Möglicherweise sehnen wir uns nach der Ruhe, die unter den Wellen herrscht. Ich fand

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