Sirenenlied
laut aussprechen?«, fragte Josh, der sich duckte, um seine Standfestigkeit zu verbessern.
11
Trügerische Sicherheit
Jack Finebird spuckte gerade seine Frühstücksportion Kautabak in einen leeren Farbeimer, als Josh im festen Griff von Eileen bei seinem Cottage eintraf. Der alte Maler hatte die beiden im Auge behalten, während sie querfeldein die Steilklippe hochgeklettert kamen, den schlammigen Weg meidend. Immer wieder mussten sie innehalten, weil die Sturmböen sie umzureißen drohten.
Die kleine Rutherford war zweifelsohne ein echtes Energiebündel. Alles an ihr versprach handfeste Sinnlichkeit, angefangen bei ihren ausgeprägten Rundungen bis hin zu ihrer Ausstrahlung. Es war Finebird ein Rätsel, wie es Josh so lange gelungen war, das Mädchen zu ignorieren - Sirenenbann hin oder her. Finebird konnte sogar auf diese Entfernung hin erkennen, dass sie über eine ganz eigene Art der Magie verfügte. Ein Inselkind, störrisch und widerstandsfähig. Nun ja, eigentlich war es nicht weiter verwunderlich, schließlich hat das Leben auf den Hebriden den Menschen schon immer viel abverlangt. Wer
konnte schon sagen, ob es ohne Frauen wie Eileen Rutherford überhaupt möglich war? Jedenfalls war an ihrer Miene abzulesen, dass sie Anspruch auf den jungen Mann an ihrer Seite erhob und keineswegs bereit war, diesen so schnell aufzugeben.
Josh schritt grimmig neben ihr einher, sichtlich unentschlossen darüber, was schlimmer war: von einer Sirene verführt oder von Eileen Rutherford herumkommandiert zu werden. Falls der Junge die Sache lebend überstand, würde sein Bedarf an weiblicher Gesellschaft vermutlich für die nächsten Jahre gedeckt sein - obwohl Eileen ihm das gewiss nicht durchgehen ließ, dachte Finebird mit einem breiten Grinsen. Joshs Junggesellentage waren eindeutig gezählt.
Mittlerweile hatten sich düstere Wolkentürme vor die Sonne geschoben und alles in diesiges Licht getaucht. Der unnatürlich rasch vom Meer aufziehende Sturm trug Salz und Dunst mit sich und machte die Luft schwer. Es war nur noch eine Frage von Minuten, dann würde ein Unwetter über Cragganmore Island niedergehen, das seinesgleichen suchte. Finebird konnte den aufgeladenen Strom der Magie spüren, wie er über seine Nervenbahnen tanzte und sie zum Vibrieren brachte. Auch wenn er niemals den Sirenengesang auf die gleiche Art vernehmen würde, wie Josh es tat, so bekam er nun doch zumindest eine Ahnung von seiner Wirkung. Es war dem jungen Burschen wirklich hoch anzurechnen, dass er nicht mit einem hungrigen Gesichtsausdruck an der Wasserkante stand und dem Eintreffen seiner Sirene entgegenfieberte. Vermutlich war es eben genau diese innere Festigkeit, die Josh so unwiderstehlich für die Sirene machte.
»Na, das war ja ein kurzer Ausflug vor dem Frühstück.
Hast du ordentlich frische Luft abbekommen?«, begrüßte Finebird Josh, der mit einem Schulterzucken vor ihm stehen blieb. »Und dann auch noch in Gesellschaft einer Dame. Einen hübschen Fang hast du da mitgebracht, Junge.«
»Guten Morgen, Mr. Finebird.« Für einen kurzen Moment sah Eileen verlegen aus, dann wurde ihre Miene wieder ernst. »Josh hat mir erzählt, dass Sie wegen der Sirenen Bescheid wissen. Wir müssen uns schnell etwas einfallen lassen, sonst...«
Weiter kam sie nicht, denn Joshs breite Hand über ihrem Mund stoppte ihren Redefluss. Sie brachte nicht mehr als ein aufgebrachtes Murmeln hervor. Erst als sie auch dies einstellte, nahm er die Hand wieder weg.
»Tut mir leid, dass wir Sie überfallen, Mr. Finebird. Aber ich bin unterwegs auf die gute Eileen getroffen, und so wie es aussieht, brauchen wir einen Unterschlupf.« Josh blinzelte, weil ihm das zersauste Haar in die Stirn geweht wurde. »Eileen hegt seit neuestem eine Abneigung gegen den Meeresblick, und der Atlantik tut so, als wäre es an der Zeit, Cragganmore unter den Wasserspiegel zu verlegen. Ich hoffe, es ist kein Problem für Sie, wenn wir uns bei Ihnen einnisten?«
»Das ist nur ein Problem, wenn ihr mehr als Kaffee und Porridge erwartet.«
»Falls uns trotz der Heimsuchung, die sich lautstark ankündigt, Zeit zum Frühstücken bleiben sollte, würde ich mich sogar damit zufriedengeben«, erwiderte Josh kaltblütig, weshalb Eileen ihm einen scheelen Blick zuwarf.
»So benimmt er sich schon die ganze Zeit«, klärte sie Finebird auf, der ihnen die Haustür aufhielt. »Als hätte er sich bereits damit abgefunden, verloren zu sein. Macht seine Witzchen darüber.«
»Glaubst du denn,
Weitere Kostenlose Bücher