SISSI - Die Vampirjägerin
Residenz hinüber. »Eine Kutsche?«, fragte sie. »Das sind nicht einmal fünfzig Schritte. Warum laufen wir nicht?«
»Laufen?« Ihre Mutter sah sie an, als habe sie den Verstand verloren. »Wir sind Prinzessinnen auf dem Weg zu einem kaiserlichen Ball, keine Mägde, die zu einem Erntefest wollen. Hier wird niemand laufen.«
Der zweite Diener warf ihr einen kurzen Blick zu. Seine Mundwinkel zuckten.
Prinzessin Ludovika entging seine Reaktion nicht. »Findet er etwas lustig? Und wenn ja, möchte er uns an seiner Freude teilhaben lassen?«
Der Mann schluckte. »Nein, Prinzessin, verzeihen Sie bitte.«
Sie schien noch nicht fertig mit ihm zu sein, aber in diesem Moment fuhr die offene Kutsche vor.
Der ältere Diener öffnete die Tür und verneigte sich tief. »Ihre Kutsche, Prinzessinnen«, sagte er.
Sie stiegen ein, Néné und ihre Mutter äußerst elegant, Sissi vorsichtig und schwerfällig.
»Impertinentes Volk«, schimpfte Prinzessin Ludovika, als sich die Kutsche in Bewegung setzte. »Wie kann der Kaiser eine solche Dienerschaft in seiner Residenz dulden.«
Sissi hob die Schultern. »Vielleicht schmecken sie gut.«
Sie erwartete, dass Néné über die Bemerkung lachen würde, aber sie sah nur nach vorn und sagte: »Man findet heutzutage einfach kein gutes Personal mehr. Daran sind bestimmt diese schrecklichen Revolutionen schuld.«
Sie übte bereits für die Unterhaltungen bei Tisch. Prinzessin Ludovika tätschelte ihre Hand. »Sehr gut, Kind.«
Sie reihten sich in die lange Schlange der Kutschen ein, die den von Fackeln und Soldaten in Paradeuniformen gesäumten Weg entlangrollten. Sissi wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, bis sie endlich aussteigen konnten und von Dienern zum Eingang geleitet wurden, aber als sie die Residenz betrat, knurrte ihr der Magen.
Es war Sissis erster großer Ball. Sie hatte erwartet, dass man sie zu ihrem Tisch führen würde, doch stattdessen mussten sie sich in eine weitere Schlange einreihen. Sie verlief vom Eingang über eine breite Treppe nach oben. Alles war hell erleuchtet, funkelte und glänzte. Diener gingen mit Tabletts voller Champagnergläser an der Schlange vorbei, aber Prinzessin Ludovika schüttelte den Kopf, als Sissi danach greifen wollte.
»Champagner macht einen schlechten Atem.«
Sissi ließ die Hand wieder sinken. »Weshalb stehen wir eigentlich an?«, fragte sie, um sich von Hunger und Durst abzulenken.
»Wir stehen für den Kaiser an. Er begrüßt jeden Gast persönlich.«
Sissi warf einen Blick auf die Schlange. Sie schätzte, dass noch mehr als fünfzig Gäste vor ihnen standen. »Kann er uns nicht nach dem Essen begrüßen?«, fragte sie.
Hinter ihr lachte jemand. Sissi drehte sich um und sah in das Gesicht eines jungen, bemerkenswert gut aussehenden Offiziers. Er lächelte. »Ich habe es mir angewöhnt, vor jedem Ball etwas zu essen. Das erleichtert die Wartezeit.« Sein Blick glitt von Sissi zu Néné. »Eine freundliche Unterhaltung mit solch wundervollen Geschöpfen wie Ihnen und Ihrer … Schwester …?«
Néné und Sissi nickten.
»… erzielt natürlich den gleichen, nein, einen noch größeren Effekt.«
Prinzessin Ludovika drehte sich zu ihm um. »Meine Töchter haben nicht die Angewohnheit, sich mit fremden Männern zu unterhalten, die ihren Namen verschweigen.«
Die Augen des Offiziers weiteten sich. »Mein Gott, wie unhöflich von mir. Vergeben Sie mir bitte. Ich bin Major Gustav von Reitlingen. Es ist mir eine Ehre und eine Freude, eine Mutter kennenzulernen, die zwei so wundervolle Töchter hervorgebracht hat. Ihr Gatte ist ein wahrhaft glücklicher Mann.«
Seine Worte schienen Prinzessin Ludovika zu versöhnen, denn sie stellte sich vor. »… und das sind meine Töchter Helene und Elisabeth.«
Der Offizier schlug die Hacken zusammen und verneigte sich.
»Sie sind aber sehr jung für einen Major«, meinte Sissi.
Néné stieß sie hinter dem Rücken an. Anscheinend war eine solche Bemerkung unpassend.
Gustav von Reitlingen blinzelte, antwortete dann aber ohne zu zögern. »Auf dem Feld der Ehre wird man schnell befördert.«
Die Schlange rückte einige Schritte vor. Sissi musterte von Reitlingen neugierig. »Sie haben gekämpft?«
»Hier und da.« Er räusperte sich. »Aber das ist kein Thema für einen solch fröhlichen Rahmen. Wäre es allzu vermessen, Sie, Prinzessin Helene, und Sie, Prinzessin Elisabeth, darum zu bitten, einen Platz auf Ihrer Tanzkarte für mich frei zu halten?«
Sissi öffnete den Mund,
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