SISSI - Die Vampirjägerin
aber ihre Mutter kam ihr zuvor. »Meine Töchter werden es in Erwägung ziehen«, erklärte sie, ohne sich umzudrehen. »Bis dahin müssen Sie sich gedulden.«
Damit war die Unterhaltung beendet. Major von Reitlingen schien das ebenfalls zu bemerken, denn er verneigte sich noch einmal kurz und wandte sich dann ab. Als Sissi sich das nächste Mal nach ihm umdrehte, stand er nicht mehr hinter ihr. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, aber er war nirgendwo zu sehen.
»Wahrscheinlich will er uns Gelegenheit geben, ungestört über ihn zu reden«, sagte Néné, als Sissi sie darauf aufmerksam machte. »Das ist wirklich sehr anständig von ihm.«
Die Schlange rückte wieder ein Stück vor. Sissi stieß mit den Zehen gegen eine Treppenstufe und fluchte leise. Ihre Mutter drehte sich um und sah sie mahnend an.
»Entschuldigung«, sagte Sissi.
»Wirst du mit ihm tanzen?«, flüsterte Néné, als Prinzessin Ludovika wieder nach vorn blickte.
»Ich weiß nicht.« Es kam ihr wie Verrat vor, darüber nachzudenken.
»Wegen Franz?«
Sie nickte. Am nächsten Abend waren sie wieder verabredet. Sie hatten die Hütte am Waldrand als Treffpunkt ausgemacht.
Néné hakte nicht weiter nach und auch Sissi schwieg.
Stufe für Stufe bewegte sich die Schlange die Treppe hinauf. Die Unterhaltungen der Wartenden schienen sich hauptsächlich um all die zu drehen, die gerade nicht in Hörweite standen. Es wurde gelästert, getratscht und verhöhnt. Sissi fragte sich auf einmal, wer von denen, die um sie herumstanden, ein Vampir war und wer ein Mensch.
Was, wenn sie alle Vampire sind?, dachte sie. Ihr wurde auf einmal kalt. Sie zog den dünnen Seidenschal enger um die Schultern und schüttelte den Gedanken ab.
Es dauerte fast eine Stunde, bis sie das Ende der Treppe erreichten. Gäste standen in dem breiten Gang, der zum Ballsaal führte, und unterhielten sich. Gläser klirrten, Menschen – wenn es denn welche waren – lachten. Ihre Worte hallten von den hohen Wänden wider, wurden zu einem diffusen Brummen, das klang, als würden hundert Musiker ihre Instrumente stimmen.
»Ludovika?« Der Name ihrer Mutter drang durch das Gewirr.
Sissi drehte sich um und entdeckte Sophie neben sich. Unwillkürlich trat sie einen Schritt zurück.
»Sophie.« Ihre Mutter lächelte und hauchte Sophie einen Kuss auf die Wange. Ihre Ballkleider berührten sich und raschelten.
Sissi knickste, als Sophies Blick auf sie fiel. »Tante Sophie«, sagte sie betont schüchtern. »Danke, dass du mir erlaubst, an dem Ball teilzunehmen.«
»Danke, dass Sie mir erlauben …«
»Was?«
»Elisabeth.« Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Wieso duzt du deine Tante, als befänden wir uns in einer Bauernstube?«
Wieso sollte ich sie nicht duzen? Ist sie nicht angeblich meine Tante?, wollte Sissi entgegnen, schluckte die Worte aber im letzten Moment herunter.
»Verzeih, Sophie«, fuhr ihre Mutter fort. »Elisabeth hat das Benehmen ihres Vaters geerbt.«
»Das hättest du ihr austreiben sollen. So macht sie nie eine gute Partie.«
Sissi stellte sich vor, wie der Holzabsatz ihres Schuhs Sophies Herz durchbohrte. Dann zwang sie sich zu einem Lächeln. »Danke, dass Sie mich auf meinen Fehler aufmerksam gemacht haben. Ich werde mich bestimmt bessern.«
Sophies Blick sagte deutlich: Das bezweifle ich . Aber sie beachtete Sissi nicht weiter, sondern wandte sich Néné zu.
»Und wie steht es mit dir? Entspricht der Kaiser deinen Vorstellungen?«
Néné knickste vor ihr und senkte den Kopf. »Ich freue mich darauf, das herauszufinden.«
»Dann war er gestern nicht bei dir?«
»Nein, Tante, aber in seiner Position kann ich auch nicht erwarten, dass er alles stehen und liegen lässt, um mit mir Tee zu trinken.«
Ärger huschte über Sophies Gesicht. Dann fing sie sich. »Ich bin mir sicher, dass er seine Verfehlung heute Abend wettmachen und dir die gebührende Aufmerksamkeit schenken wird.«
Sie wechselte in eine Sprache, die Sissi nicht verstand. Néné antwortete ebenso fließend.
Sophie schien zufrieden. »Dein Ungarisch ist besser geworden.«
»Ihr Lob ehrt mich, Tante.«
»Dann sehen wir uns gleich bei Tisch.« Sophie drehte sich um und ging weiter an der Schlange entlang. Sie wirkte, als wolle sie eine Parade abnehmen.
Erst als sie die Treppe hinauf verschwand, atmete Sissi durch. »Was für eine schreckliche alte Vettel. Erweise mir einen Gefallen, Néné, und jage ihr als Erster einen Pflock …«
»Sissi!« Der scharfe Ton ihrer Mutter brachte sie
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