SISSI - Die Vampirjägerin
Teller. Franz versuchte einige Male, sie in seine Gespräche einzubeziehen, aber sie tat stets so, als bemerke sie es nicht. Anfangs wurde sie ebenfalls von vielen Männern, darunter auch Gustav von Reitlingen, zum Tanz aufgefordert, doch irgendwann schien sich herumgesprochen zu haben, was an diesem Abend geschehen würde, denn ihre Tanzkarte blieb ziemlich leer, während die ihrer Schwester immer voller wurde. Man wilderte nicht im Revier des Kaisers.
Oh Götter, dachte Sissi, als das Orchester ein weiteres Mal aufspielte. Wenn dieser Abend nur schon vorbei wäre.
Während sie auf die Ballgäste wahrscheinlich nur schüchtern wirkte, musste jeder bemerken, wie angespannt ihre Mutter war. Seit ihrer Rede auf dem Balkon war sie blass wie ein ungeschminkter Vampir und fahrig. Ausgerechnet neben Sophie hatte sie Platz nehmen müssen. Gelegentlich wechselten die beiden ein paar Worte, aber Prinzessin Ludovika suchte meistens den Blickkontakt ihrer Töchter, versuchte sie zu ermuntern.
Sissi wird Franz-Josef heiraten, nicht du, Néné . So hatte sie ihre Rede begonnen. Sie hatte den Wunsch des Kaisers erklärt, ohne wütend zu werden oder Sissi zu beschimpfen. Am Ende hatte sie beide Töchter in die Arme genommen und geweint.
Ihr müsst stark sein. Du, Sissi, aber vor allem du, Néné. Feiere die Verlobung deiner Schwester und freue dich an ihrem Glück. Alle müssen es glauben.
Sissi hatte sich gesträubt, hatte darauf bestanden, Sophie und den Kaiser zu sprechen, doch schließlich war es Néné, die die entscheidenden Worte sprach: Wenn du dich ihm verweigerst, wird er mich trotzdem nicht erwählen. Dann wird alles scheitern, wofür wir ein Leben lang gearbeitet haben. Tu uns das nicht an, Sissi.
Und nun saß sie an einem Tisch mit dem Mann, den sie liebte und der gleichzeitig ein Vampir war, den sie töten musste. Darüber hätte Shakespeare schreiben sollen, dachte Sissi, nicht über Romeo und Julia.
Franz-Josef stand auf. Das Essen, das Sissi sich hineingezwungen hatte, ballte sich zu einem heißen Klumpen in ihrem Magen.
»Darf ich um diesen Tanz bitten?«, fragte Franz-Josef. Der Moment, den sie befürchtet hatte, war da.
Ruhig legte sie die Serviette beiseite und erhob sich. »Es wird mir eine Freude sein, Ihnen diesen Wunsch zu erfüllen, Majestät.«
Die alten Frauen am Tisch sahen ihnen nach, als sie durch die Säulen schritten und sich zu den anderen Tänzern gesellten.
»Was für ein wunderschönes Paar«, sagte eine von ihnen.
»Und so jung«, antwortete eine andere. »Das ganze Leben liegt noch vor ihnen, wenn es keine Revolution gibt.«
»Agnes!«, tadelte die erste.
Die Musik wurde so laut, dass Sissi den Rest ihrer Unterhaltung nicht mehr verstehen konnte. Die Tänzer nahmen Aufstellung. Franz-Josef stand ihr gegenüber. Er trug seine kaiserliche Uniform und sah so glücklich aus, so zufrieden, als habe sich der größte Wunsch seines Lebens erfüllt.
Sissi wünschte, sie hätte das Gleiche empfinden können, doch sie spürte nichts außer einer betäubenden Leere. Mühsam rang sie sich ein Lächeln ab.
Die Tänzer bewegten sich steif von einer Seite zur anderen, traten in exakt vorgeschriebenen Schrittfolgen vor und zurück. Nur wenigen gelang es, dem Rhythmus der Musik zu folgen. Die meisten konzentrierten sich auf ihre Bewegungen und zählten die Schritte lautlos mit. Nicht so Franz-Josef – wie ein Schwimmer ließ er sich von den Wellen der Musik tragen. Neben ihm kam Sissi sich wie ein Bauerntrampel vor.
Die Musik trug Franz-Josef auf sie zu. »Sie wird darüber hinwegkommen«, sagte er leise und meinte Néné. »Sie kennt mich ja noch nicht einmal.«
Sissi wollte antworten, aber die Musik trug ihn wieder davon. Als er sich ihr das nächste Mal näherte, sagte sie ebenso leise: »Es war feige, zu Sophie zu gehen. Du hättest mit mir reden müssen.«
Die Anschuldigung traf ihn, das sah sie ihm an. »Du hattest die Hände vor dem Gesicht. Ich musste schnell handeln.«
Erneut trennte sie die Musik. Als sie einander wieder begegneten, schwieg Sissi. Franz-Josef warf ihr mehrfach Blicke zu, sagte jedoch nichts. Als die Musik endete, verbeugte er sich vor ihr. Sie knickste und wollte sich von ihm zurück zu ihrem Tisch geleiten lassen, aber er hielt sie mit einem leichten Kopfschütteln auf. Einige andere Frauen blieben ebenfalls stehen, unter ihnen Néné. Man merkte ihr die Schande nicht an, im Gegenteil, sie wirkte glücklich und gelöst, so als genieße sie die Aufmerksamkeit all
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