SISSI - Die Vampirjägerin
der Männer um sie herum.
Diener betraten den Raum. Sie schoben Wagen vor sich her, auf denen Vasen mit großen Blumensträußen standen. Gustav von Reitlingen wollte darauf zugehen, aber ein anderer ebenso junger Offizier hielt ihn zurück. Erst als der Offizier in Richtung des Kaisers deutete, schien Gustav zu verstehen. Ihm musste man die erste Wahl überlassen.
Franz-Josef ging zielstrebig auf den ersten Wagen zu und nahm einen Strauß roter Rosen aus seiner Vase. Wasser tropfte auf den hellen Marmorboden. Einer der Diener wischte es sofort auf und schlang ein großes Seidentuch um die Blumenstängel, während Franz-Josef sich bereits abwandte und Sissi ansah.
Die Musik hatte aufgehört zu spielen, die Unterhaltungen erstarben. Natürlich wusste der Hochadel von den Gerüchten über eine anstehende Heirat des Kaisers, aber kaum jemand hatte eine Ahnung, wen er erwählen würde. Sissi spürte die Blicke der Menschen und Vampire. Abschätzend glitten sie über die Gesichter der Frauen auf der Tanzfläche. Einige Adlige tuschelten. Sissi stieß die Trüffelsoße auf, als ihr klar wurde, dass sich schon bald all diese Blicke auf sie konzentrieren und alle Gespräche im Saal um sie kreisen würden. Ihr wurde übel.
Franz-Josef blieb vor ihr stehen. Es war so still im Saal, dass seine Schritte nachhallten.
»Elisabeth«, begann er mit fester Stimme, »würden Sie mir die Ehre erweisen, diese roten Rosen als Zeichen meiner Wertschätzung und Zuneigung anzunehmen?«
Sissi schluckte ihre Übelkeit herunter, lächelte gezwungen und nahm die Rosen entgegen. Die Stacheln waren entfernt worden, die Stiele lang und glatt. Frischer, süßer Duft stieg von den Blüten auf. Er erinnerte Sissi an die Schüssel mit Rosenwasser, in der sie sich das Fett von den Fingern gewaschen hatte. Die Übelkeit wurde so stark, dass sie nicht zu sprechen wagte. Also knickste sie tief, neigte den Kopf und hoffte, man würde ihr Schweigen als Schüchternheit auslegen.
Franz-Josef wirkte enttäuscht, als sie ihm keine Antwort gab, fasste sie aber dann sanft am Ellbogen und richtete sie wieder auf.
»Majestäten«, sagte er, »meine Damen und Herren: Prinzessin Elisabeth in Bayern.«
Die Gäste applaudierten, als hätte Sissi einen Teller auf der Nase balanciert. »Ich freue mich ja so für dich«, hörte sie Néné sagen. Es klang, als meine sie es ernst.
Es gibt kein Zurück mehr, dachte Sissi. Schon wieder bahnte sich die Trüffelsoße einen Weg aus ihrem Magen empor. Noch nie in ihrem Leben war ihr so übel gewesen.
»Lass uns in den Garten gehen«, sagte Franz-Josef leise. Hinter ihm nahmen Männer die restlichen Blumen vom Wagen und reichten sie den Damen, die sie erwählt hatten. Gustav von Reitlingen ging auf Néné zu, mehr sah Sissi nicht, denn Franz-Josef führte sie bereits aus dem Saal. Im Gang stank es nach Zigarrenrauch und Schweiß. Sehnsüchtig starrte Sissi auf die geöffnete Terrassentür. Nur noch wenige Meter trennten sie von frischer, kühler Luft.
»Ich kann es noch kaum fassen, dass wir zusammen sein werden«, sagte Franz-Josef. »Stell dir das nur vor, du und ich, dein … ein Leben lang.«
Sissi konnte nicht mehr. Sie übergab sich in die Rosen.
KAPITEL VIERZEHN
Die Französische Revolution war nicht nur der größte Erfolg der Kinder Echnatons, sondern gleichzeitig auch ihr größter Fehlschlag. Sie hatten gehofft, durch die Öffentlichkeit der Hinrichtungen und die spektakuläre Art und Weise, mit der Vampire ihre Existenz beenden, würde die breite Masse endlich erkennen, wer wirklich über sie herrschte, doch das passierte nicht. Wer sich in diesem Herbst 1789 in Paris aufhielt (und überlebte), beobachtete stattdessen Merkwürdiges: Vampire, die im Sonnenlicht zu Staub zerfielen, wenn sie zu ihrer Hinrichtung gebracht wurden, und Guillotinen, neben denen Henker auf dem Schleim der Getöteten ausrutschten, ohne sich etwas dabei zu denken. Alles spielte sich vor den Augen des johlenden Volkes ab, doch kein einziger Mensch, nicht einer von den Zigtausenden, die sich auf den Plätzen von Paris drängten, schien die Vampire tatsächlich zu sehen. Es ist oft darüber spekuliert worden, warum das so war. Manche gehen von einem bisher noch unerklärten Phänomen aus, das uns möglicherweise angeboren ist und es uns erschwert, die Wahrheit zu erkennen, andere unter den Kindern Echnatons glauben, dass Vampire das Land betörten, um ihre Enttarnung zu verhindern. Letztere Theorie ist allerdings umstritten, denn
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