SISSI - Die Vampirjägerin
stundenlangen, ihr endlos erscheinenden Übungseinheiten heimlich an der Tür gelauscht, um wenigstens etwas von der fremden Welt, die sich dahinter auftat, zu erfahren. Doch irgendwann hatte sie sich damit abgefunden, dass diese Welt in ihrem Leben keine Rolle spielen würde, und sich stattdessen darauf konzentriert, die beste Soldatin zu werden, die ein Vater sich nur wünschen konnte.
Sie erinnerte sich noch an den Nachmittag, an dem sie sich endgültig von dem Zimmer, durch das unbekannte Worte wie seltsame exotische Vögel flatterten, abgewandt hatte. Dann bleibe ich eben ungebildet und dumm, hatte sie damals gedacht. Aber all der schöngeistige Quatsch wird Néné nicht retten, wenn die Vampire kommen. Ich werde das tun.
Mittlerweile erschien ihr diese Reaktion trotzig, aber wenn sie ehrlich sich selbst gegenüber war, musste sie sich eingestehen, dass sie auch heute noch so empfand.
Herzog Max schloss die Tür hinter sich. »Setzt euch«, sagte er.
Sissi räumte ein paar Bücher von einem Hocker und nahm darauf Platz. Néné blieb stehen. Seit dem Abend in der Sommerresidenz hatte sie abgenommen, ihr Gesicht wirkte hohlwangig, unter ihren Augen lagen tiefe Ringe, als leide sie an Schwindsucht. Nachts hörte Sissi sie oft auf und ab gehen. Sie schien nicht gut zu schlafen.
Herzog Max lehnte sich an die Schreibtischkante, verschränkte die Arme vor der Brust und unterdrückte ein Gähnen. Er war unrasiert.
»Ich habe dem Cousin in Wien telegrafiert«, sagte er.
Johannes Reinisch war nicht wirklich ein Cousin, sie hatten es sich nur angewöhnt, ihn so zu nennen, um Fragen aus dem Weg zu gehen. Wie alle anderen Cousins, die man Sissi vorgestellt hatte, gehörte er zu den Kindern Echnatons.
»Er wird ein Treffen anberaumen, damit wir die veränderte Sachlage …«, Néné senkte den Kopf, »… besprechen können. Für dich, Sissi, ist es natürlich zu spät, aber wir werden dafür sorgen, dass du alles erfährst, was wir dort beschließen.«
»Und wenn ich auch etwas beschließen will?«, fragte Sissi, aber ihr Vater ignorierte es. Er wirkte angespannt, als habe er Angst vor dem, was er als Nächstes sagen musste.
»Unser ursprünglicher Plan sah vor, Néné in den Palast einzuschleusen. Wir wissen, dass Sophie in unregelmäßigen Abständen die hochrangigsten Vampire Europas zu sich bittet, um weitab von allem aristokratischen Pomp die Geschicke der Länder zu bestimmen. Néné sollte dieses Treffen sprengen.« Er lächelte knapp. »Im wahrsten Sinne des Wortes.«
Niemand hatte Sissi je die Einzelheiten des Plans verraten. Bis zu dieser Stunde hatte sie nur gewusst, dass Néné zur Attentäterin werden sollte und wahrscheinlich dabei sterben würde.
»Mit einer Bombe?«, fragte sie. Die Überraschung in ihrer Stimme schien Néné zu ärgern.
»Ich habe schon mit vier Jahren Bomben gebaut«, erklärte sie.
»Warum habe ich das nicht gewusst?«
»Weil jeder nur das erfährt, was nötig ist.« Ihr Vater begann im Zimmer hin und her zu gehen. »Das schließt dich ein.«
Sissi öffnete den Mund, verzichtete dann jedoch auf Widerworte. Ihr Vater war in einer seltsamen Stimmung.
»Dann bringt mir eben bei, wie man eine Bombe baut. So schwer kann es nicht sein.« Wenn sogar Néné es gelernt hat, fügte sie in Gedanken hinzu. Ihre Schwester war nicht gerade das, was man geschickt nennen würde.
»Ich wünschte, das wäre unser einziges Problem.« Ihr Vater blieb stehen und sah Néné an, fast so, als bitte er um ihre Erlaubnis, fortzufahren. »Die Vampire leben im Wiener Palast in ihrem eigenen Trakt, der von Wölfen abgeriegelt wird.«
»Die mit Fell?«, unterbrach Sissi ihn.
»Nein, ich meine die Selbstschussanlagen . Néné hätte sie überwinden können, du nicht.« Er sprach nicht weiter, als sei damit alles gesagt.
Sissi runzelte die Stirn. »Wieso nicht?«
»Weil du nach Mensch riechst«, sagte Néné. Sie klang nervös.
»Und wonach riechst du?«, fragte Sissi. »Nach Wildschwein?« Es sollte ein Scherz sein, aber niemand lachte.
»Nein.« Néné faltete die Hände im Schoß. »Ich rieche nach gar nichts.«
Ihre Worte hingen in der Luft. Herzog Max trat neben seine Tochter und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie drückte sie mit einem Lächeln.
Sissi fuhr sich durchs Haar und freute sich darüber, wie glatt und glänzend es im Kerzenlicht des Zimmers aussah. Ich sollte mich nur noch bei Kerzenlicht zeigen, dachte sie. Dann fiel ihr ein, dass sie noch nichts erwidert hatte.
»Was
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