SISSI - Die Vampirjägerin
verletzten, am Boden liegenden Leibwächter zu.
Der Mann schien zu ahnen, was ihn erwartete, denn er drehte sich auf den Rücken und hielt abwehrend die blutverschmierten Hände hoch. »Es tut mir leid«, stieß er hervor. »Ich habe die Fassung verloren.«
Karl rammte ihm den Dolch bis zur Klinge in den Bauch. Die beiden anderen Leibwächter sahen scheinbar regungslos zu.
»Trinkt«, sagte Karl. »Saugt ihn aus, bis nichts mehr in ihm ist außer Staub und Feigheit.«
Die Leibwächter traten zögernd einen Schritt vor. Franz-Josef richtete sich auf und rieb seinen Hals. Das Blut eines anderen Vampirs zu trinken, war ein Tabu, dessen Bruch mit dem Tod bestraft wurde.
»Trinkt!«, schrie Karl.
Die Leibwächter zögerten nicht länger. Sie hockten sich neben ihren schreienden und bettelnden Kameraden und tranken das Blut, das aus seinen Wunden floss.
Franz-Josef trat zu Karl. »Was soll das?«, fragte er, während er angewidert zusah, wie die Haut des Leibwächters zu Pergament wurde, seine Augäpfel austrockneten und zerfielen, seine Schreie verstummten. Staub rieselte aus seinem Mund.
»Wer uns entehrt, gehört nicht länger zu uns«, erklärte Karl. »Die beiden verstehen das jetzt und werden jedem, den sie kennen, erzählen, was sich hier zugetragen hat. Das ist einen Toten wert.« Er lächelte knapp. »Nicht erwähnen werden sie, wie gut sein Blut ihnen geschmeckt hat.«
Die Leibwächter tranken nicht mehr aus den Wunden, sondern saugten das letzte Blut aus der Halsschlagader des sterbenden Vampirs. Nur wenige Minuten später zerfiel er unter ihren Händen zu Staub.
Karl wandte sich ab. »Fangt eure Pferde ein und schließt zu uns auf«, sagte er. »Wir müssen weiter.«
Franz-Josef folgte ihm zurück zur Kutsche. Ferdinand saß wieder auf seinem Platz und redete mit dem Chinesen, der auf dem Boden hockte. Sophie stand vor der Kutsche und steckte ihre Haare hoch.
»Hast du gewusst, dass sie das kann?«, fragte Franz-Josef leise. Er brauchte nicht zu erklären, was er meinte. Das war Karl auch so klar.
»Sie ist nicht die Einzige«, sagte er.
»Mein Chinese fährt auf dem Boden mit«, sagte Ferdinand, als sie näher kamen. »Er sagt, es stört ihn nicht.«
Franz-Josef bezweifelte, dass der bewusstlose Mann tatsächlich irgendetwas gesagt hatte. »Wieso soll er nicht mehr neben dir sitzen?«, fragte er, während er bereits nach der Tür griff.
»Weil wir sonst nicht alle Platz haben.« Ferdinand zeigte neben sich.
Franz-Josef folgte seinem Blick und zuckte zurück.
»Jesus Christus«, stieß Karl neben ihm hervor.
Sophie ließ die Hände sinken und kam näher.
Der wilde Vampir saß auf ihrem Platz in der Kutsche. Er war nackt und dreckig wie die anderen, jedoch war sein Kopf kahl geschoren und verschorft.
»Raus«, sagte Sophie ruhig.
Der Vampir drehte den Kopf. Franz-Josef tastete nach dem Degen, der nicht mehr an seinem Gürtel hing. Die Augen des Mannes waren verdreht und leuchteten weiß in der dunklen Kutsche.
»Ihr seid Schwächlinge«, sagte er.
Aus einem Grund, den er selbst nicht verstand, war Franz-Josef sofort klar, dass eine fremde Stimme aus ihm sprach.
»Früher einmal hättet ihr die wilden Vampire in Stücke gerissen und jetzt kriecht ihr vor ihnen im Staub.«
»Einer ist gekrochen«, murmelte Karl, »nur einer.«
Der Vampir beachtete ihn nicht. Franz-Josef fragte sich, ob der, der aus ihm sprach, verstand, was um ihn herum gesagt wurde.
»Eine neue Zeit bricht an. Ich überlasse es euch, ob ihr daran teilhaben oder von ihr hinweggefegt werden wollt. Beim nächsten Vollmond erwarte ich eure Antwort.«
Der Vampir öffnete die Tür auf der anderen Seite der Kutsche. Ferdinand rutschte höflich zur Seite, sodass er aussteigen konnte.
Franz-Josef sah der nackten Gestalt nach, bis sie zwischen den Hecken verschwunden war. »Was war denn das?«, fragte er.
Sophie steckte die letzte Haarnadel in ihre Frisur und rückte sie zurecht. »Ich kenne nur einen Vampir, der einen anderen betören kann«, sagte sie, ohne auf Franz-Josefs Frage einzugehen.
Karl nickte. »Er ist also zurück.«Er wirkte besorgt und ein wenig ängstlich.
Ferdinand klatschte in die Hände. »Na, bravo!«
KAPITEL SECHZEHN
Die Vampirdynastien Europas sind ein merkwürdiges Gebilde. Auf der einen Seite sind sie organisiert wie eine Armee mit einem General an der Spitze und zahlreichen hohen Offizieren, die als Fürsten und Könige eigenen Ländern vorstehen, auf der anderen führt diese Armee immer und
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