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SISSI - Die Vampirjägerin

SISSI - Die Vampirjägerin

Titel: SISSI - Die Vampirjägerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Kern
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während sie das Tablett auf einem Tisch abstellten. Der andere zog zwei Stühle heran und wischte sie mit einem weißen Tuch ab.
    »Ich danke Ihnen.«
    Mit knappen, präzisen Bewegungen servierten die Diener das Essen. Es gab Rinderbraten mit Kartoffeln und Rotkohl – einfache Hausmannskost, genau wie Friedrich sie schätzte.
    Neben ihm schlug Gunther die Hacken zusammen. »Ich werde mich zurückziehen, Professor. Einen angenehmen Abend.«
    »Ihnen auch.« Ob es wirklich Abend war, wusste Friedrich nicht. Es war ihm auch nicht wichtig. Sein Blick glitt die Treppe hinauf zur offen stehenden Tür. Kein Licht drang aus dem Gang, den er dahinter vermutete. Als Gunther darin verschwand, war es so, als verschlucke ihn die Dunkelheit.
    Friedrich hörte gedämpfte Stimmen, dann tauchte sein Gönner oben am Treppenabsatz auf. Er war groß, größer als jeder Mensch, den Friedrich je gesehen hatte. Der dunkle, asiatisch wirkende Anzug, den er trug, betonte seine hagere Gestalt und war hochgeschlossen. An einem Arm führte er eine junge Frau die Treppe hinunter. Sie trug ein einfaches Bauernkleid und bewegte sich unsicher, als habe sie getrunken. Ihr Gesicht wirkte leer und freundlich; sie war betört worden.
    Friedrich verneigte sich tief. »Euer Eminenz«, sagte er.
    Einer der Diener zog die Stühle zurück, während der andere die junge Frau am Ende der Treppe entgegennahm und sie zu einem Stuhl auf der anderen Seite des Raums führte. Dort blieb er neben ihr stehen.
    »Professor.« Die Stimme des Vampirs war kalt und klar wie ein Gebirgsfluss an einem Wintermorgen. »Setzen Sie sich doch. Ihr Essen wird kalt.«
    »Danke, Euer Eminenz.« Friedrich blieb trotzdem neben seinem Stuhl stehen, bis sein Gönner Platz genommen hatte. Auch wenn er nie ein Wort darüber verlor, schätzte er solch kleine Gesten des Respekts. So gut kannte Friedrich ihn mittlerweile.
    Anfangs hatte er dem Vampir zahlreiche Fragen gestellt, hatte wissen wollen, woher er kam, wie lange er bereits existiere und welche Persönlichkeiten der Geschichte er kennengelernt habe. Die Antworten waren ausweichend gewesen und Friedrich hatte irgendwann erkannt, dass er die falschen Fragen stellte und darauf die richtigen Antworten erhielt. Es war nur der außerordentlichen Geduld seiner Eminenz zu verdanken, dass er zu dieser Schlussfolgerung gelangt war. Seitdem fragte er nur noch nach Dingen, die für sein Projekt wichtig waren, und erfreute sich an dem, was er als Gedankenaustausch zwischen zwei Kulturen bezeichnete.
    »Plato«, sagte Seine Eminenz unvermittelt, als Friedrich gerade den Mund voll Rotkohl hatte. Er schluckte hastig und wischte sich mit der Serviette über die Lippen.
    »Ein interessanter Philosoph«, erwiderte er.
    »In der Tat. Sie sind mit seiner Theorie der Formen vertraut?«
    »Selbstverständlich.«
    Seine Eminenz musterte ihn und schwieg. Es fiel Friedrich schwer, ihm ins Gesicht zu sehen. Seine Augen schienen daran abzugleiten, als wäre er nicht ganz in dieser Welt. Manchmal glaubte Friedrich, der Vampir habe asiatische Züge, dann wieder wirkte er nordeuropäisch, manchmal auch indisch. Obwohl Friedrich seinen Gönner fast jeden Tag sah, hätte er ihn niemandem beschreiben können.
    Einmal, ganz zu Anfang, hatte Friedrich gefragt, ob er betört worden sei und ihn deshalb nicht erkennen könne, doch Seine Eminenz hatte das verneint. »Das wäre respektlos«, hatte er damals gesagt. Es hatte Friedrich beeindruckt, dass eine ihm intellektuell so hoch überlegene Persönlichkeit sich die Mühe machte, ihn zu respektieren. Das zeugte von Charakter.
    Friedrich erkannte, dass Seine Eminenz darauf wartete, dass er fortfuhr, also sagte er: »Plato glaubte, dass alles, was in unserer Welt existiert, nur eine Kopie von etwas Perfektem sei, zu dem wir keinen Zugang hätten.«
    »Stimmen Sie dem zu?«, fragte der Vampir. Er hob kurz die Hand.
    Der Diener, der neben der jungen Frau stand, fasste sie am Arm und führte sie zu Seiner Eminenz.
    »Nein«, sagte Friedrich, »denn das würde bedeuten, dass all unser Streben nach Vollkommenheit sinnlos wäre, da wir sie niemals erlangen könnten.«
    »Wäre das so schlimm? Ist Vollkommenheit überhaupt ein wünschenswertes Ziel und was würden wir tun, wenn es erreicht wäre? Stagnieren, so wie Ihr Volk es unserem immer wieder vorwirft?«
    Mit einer Bewegung, so schnell, dass das menschliche Auge ihr nicht folgen konnte, riss er der Frau den Unterarm auf. Sie seufzte leise, als er zu trinken

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