SISSI - Die Vampirjägerin
Dann werdet ihr jetzt auf Worte Taten folgen lassen. Betrachtet es als ersten Test eurer Loyalität.«
Die Fesseln wurden nicht wieder festgezogen, lagen weiterhin locker um seinen Geist. Franz-Josef genoss die plötzliche Schnelligkeit seiner Gedanken und die Freiheit seines Willens. Nur sein Körper war immer noch eingeschränkt. Die Luft selbst schien sich ihm zu widersetzen, bremste seine Bewegungen.
Er bemerkte, wie sich die wilden Vampire anspannten, wie ihre Blicke über die Menge glitten, als erwarteten sie, dass die Ersten eine Flucht versuchten.
Weshalb?, fragte sich Franz-Josef.
Seine Eminenz nahm einen der mit Schnee gefüllten Eimer, die am Boden standen.
»Ich benötige eure Augen.«
Deshalb, dachte Franz-Josef. Ihm wurde übel.
Sissi erkannte bereits nach wenigen Metern, dass sie den Ballsaal auf dem Weg, den sie eingeschlagen hatte, nicht erreichen würde. Die wilden Vampire hatten den Gang, der zum Ballsaal führte, abgeriegelt. Gleich vier von ihnen entdeckte Sissi, als sie vorsichtig um eine Ecke spähte.
Ratlos blieb sie stehen. Ihr Katana lag unter der Matratze ihres Bettes, unerreichbar weit entfernt. Und selbst wenn sie es bei sich getragen hätte, wäre sie vier Vampiren niemals gewachsen gewesen.
Sie drehte um und ging an Franz-Josefs Arbeitszimmer vorbei den Gang hinunter. Die Türen, die zu kleineren Trakten und den Zimmern adliger Besucher führten, standen offen. Sissi sah Kampfspuren, zersplitterte Fenster und Scherben am Boden.
Wir sind überfallen worden, dachte sie, aber von wem und warum?
Es musste etwas damit zu tun haben, was Franz-Josef erwähnt hatte, diesem nebulösen – sie war stolz auf das neue Wort, das sie am Abend zuvor gelernt hatte – Ereignis, das er angedeutet hatte.
Vertrauen, dachte sie. Wenn wir einander vertraut hätten, wüsste ich jetzt vielleicht, was ich tun soll.
Die leeren Gänge erschienen ihr unheimlich. Um diese Zeit waren sie sonst voller Leben. Vampire und Menschen gleichermaßen trafen sich dort, suchten nach Unterhaltung und Tratsch. Doch nun hallten nur Sissis Schritte von den Wänden wider. Diejenigen, die von den wilden Vampiren nicht verschleppt worden waren, mussten sich irgendwo versteckt halten, hofften wohl darauf, dass der Spuk irgendwann enden würde.
Das könnte ich auch tun, dachte Sissi, als sie vor einer der verborgenen Türen, die zum Dienstbotentreppenhaus führten, stehen blieb. Doch so war sie nicht erzogen worden. Sie war eine Soldatin, die Berufung war sosehr Teil ihrer selbst wie ihr adliges Blut. Sie wartete nicht, dass jemand kam, um sie zu retten, sie war dieser jemand.
Zumindest hoffte sie das.
Sissi öffnete die Tür und lief die enge Holztreppe hinunter. Überall zweigten Gänge ab, die hinter den Wänden verborgen durch die Hofburg führten. Seit ihrem ersten, im Nachhinein peinlichen Küchenbesuch hatte Sissi keinen Fuß mehr hineingesetzt, aber sie wusste, dass die Dienstboten sie benutzten, um Essen aufzutragen und abzuräumen und ihre Arbeit zu verrichten, ohne von der Herrschaft bemerkt zu werden. Eine Zofe hatte sie Sissi gegenüber einmal als Heinzelmännchentreppen bezeichnet.
Es war still in der Küche, als Sissi durch die geöffnete Tür trat. Im ersten Moment glaubte sie, das Personal sei bereits zu Bett gegangen, doch dann hörte sie leise Stimmen.
Sie ging an den Öfen und Arbeitsplatten vorbei. Schmutzige Pfannen standen auf dem Feuer, Messer und geschnittenes Gemüse lagen auf den Platten. Sie nahm sich ein langes, spitzes Küchenmesser, das nach Zwiebeln roch, und ein zweites, kürzeres, das unbenutzt wirkte.
Besser als nichts, dachte Sissi, als sie die Waffen in den Gürtel ihres Kleides steckte.
Das Küchenpersonal hatte sich in der hintersten Ecke der Küche versteckt, dort, wo die großen Wannen standen, in denen das Geschirr gespült wurde. Mehr als ein Dutzend Menschen hockten dicht zusammengedrängt am Boden. Ihre Gesichter waren verängstigt, ihre Augen weiteten sich, als sie Sissi sahen. Zwei ältere Frauen bekreuzigten sich und sagten etwas auf Ungarisch.
»Ihr müsst keine Angst haben«, sagte Sissi.
Die Menschen sahen zuerst sie, dann einander an. Sissi hatte nicht den Eindruck, dass sie verstanden, was sie gesagt hatte.
Oh Götter, dachte sie. Ausgerechnet Ungarn.
»Äh …« Sie räusperte sich. Vokabeln tropften träge wie Wachs aus ihrem Gedächtnis auf ihre Zunge. »Weg zu … Ballsaal. Zeigen.« Mit dem Finger deutete sie auf einen Jungen. »Du.«
Er hob abwehrend
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