SISSI - Die Vampirjägerin
nicht so. Allein der Aufwand, mich abzusetzen und einen neuen Kaiser zu ernennen …« Der Satz hing unvollendet in der Luft. Franz-Josef schien sich in seinen Gedanken zu verlieren.
»Und was jetzt?«
»Ich weiß es nicht.« Er blinzelte, wirkte auf einmal verloren. »Ich muss mit Sophie reden.«
»Nein.« Sissi fasste ihn am Arm und zog ihn in eine Ecke. Das Porträt einer alten Frau lächelte auf sie herab. »Noch weißt du offiziell nichts davon. Ein Diener kann dir viel erzählen.« Sie strich mit einer Hand über seine kühle Wange. »Lass uns erst einmal zu Edgar gehen, dann sehen wir weiter.«
Er zögerte, dachte wohl über ihre Worte nach, und nickte dann. »Du hast recht. Und wer weiß, wie die Dinge morgen stehen, wenn sich alle ein wenig beruhigt haben. Es wäre nicht die erste Entscheidung, die mit ein paar Litern Blut im Bauch rückgängig gemacht wird.«
Es klang nicht so, als würde er selbst daran glauben, trotzdem lächelte Sissi.
Edgar und Pierre teilten sich einige Zimmer im Westflügel. Es war einer der Trakte, vor denen Franz-Josef Sissi gewarnt hatte, und als sie die erste Tür öffneten, wurde ihr klar, weshalb.
An den Wänden hingen Gemälde, wenn man denn diesen Ausdruck benutzen wollte, von blutüberströmten Menschen, die gefoltert und ausgesaugt wurden, von Schlachten, die mit unvorstellbarer Grausamkeit geführt wurden, und von Orgien, bei denen nur ein Blick reichte, um Sissi verschämt wegsehen zu lassen.
Es stank nach altem Blut.
Sie hörten Stimmen aus einem Zimmer zu ihrer Rechten.
Franz-Josef hielt Sissi zurück, als sie darauf zugehen wollte. »Bleib hier stehen«, flüsterte er. »Ich will nicht, dass sie dich bemerken.«
Sie nickte.
Er ging zur Tür und klopfte. »Edgar?«, fragte er. »Pierre? Seid ihr da?«
»Wo zur Hölle sollen wir sonst sein?« Sissi erkannte Edgars raue Stimme.
Franz-Josef trat ein. Er ließ die Tür hinter sich offen, sodass Sissi in das Zimmer sehen konnte. Edgar saß in einem Sessel und hatte die Beine von sich gestreckt. Seine Stiefel glänzten. An der Wand hinter ihm hingen Trophäen: Geweihe, bleiche Tierschädel und Schrumpfköpfe, die von Menschen stammen mussten.
Von Pierre sah Sissi nur die Beine. Er schien auf einem Sofa zu liegen, aber sein Oberkörper wurde von der offenen Tür verdeckt.
Edgar hob den Kopf, als Franz-Josef vor ihm stehen blieb. Seine leeren Augenhöhlen wirkten wie dunkle Löcher in seinem Gesicht.
»Was stinkt denn hier so?«, fragte er. »Ist das etwa Feigheit?«
Zu Sissis Erleichterung blieb Franz-Josef ruhig. »Wohl eher das Lavendelöl, das draußen jemand verschüttet hat.«
Sie hörte Pierre lachen, dann stöhnen. »Wenn ich gewusst hätte, dass das so schmerzen würde, hätte ich das Gleiche getan wie du, Franz. Nordsibirien soll im Winter sehr schön sein und noch völlig unverdorben.«
»Ich weiß nicht, wovon du redest.« Franz-Josef wechselte das Thema, ohne ihm eine Gelegenheit zur Antwort zu geben. »Edgar, ich muss dich etwas fragen. Wieso sollte ich ein Heißluftballonrennen unterstützen?«
Edgar verzog das Gesicht. »Hat dir die Schlampe etwa davon erzählt?«
Es war das zweite Mal innerhalb kürzester Zeit, dass jemand Sissi als Schlampe bezeichnete. Sie umklammerte das Katana so fest, dass ihre Finger zu schmerzen begannen.
Bitte greif Franz-Josef an, dachte sie. Tu mir den Gefallen.
Doch Edgar rührte sich nicht. »Bist du bewaffnet?«, fragte er stattdessen.
»Ja, das bin ich.«
Pierres Beine verschwanden aus Sissis Gesichtsfeld. Er schien sich aufzusetzen. »Was ist hier eigentlich los? Was für ein Ballonrennen?«
»Es ist nichts.« Edgar wirkte ungehalten. »Nur ein Hobby.«
Pierre lachte erneut. »Deine einzigen Hobbys sind Töten und Trinken, Schatz, also was erzählst du da?«
Sissi begann ihn zu mögen.
»Fall mir nicht ins Wort!«
Franz-Josef räusperte sich. »Ich weiß, dass dir jemand befohlen hat, mir dieses Ballonrennen unterzuschieben.«
Es war ein Schuss, der sein Ziel verfehlte. Edgar verschränkte nur die Arme vor der Brust und starrte aus seinen leeren Augenhöhlen an die Decke.
»Antworte doch dem guten Exkaiser«, sagte Pierre. »Dann gibt er uns vielleicht endlich das Geschenk, das er mitgebracht hat.«
Geschenk?, dachte Sissi.
»Geschenk?«, fragte Edgar wie ein Echo ihrer Gedanken.
»Das vor der Tür. Ich höre doch seinen Herzschlag.«
Edgar sprang so schnell auf, dass selbst Franz-Josef nicht mehr reagieren konnte. Sissi sah, wie er ihr
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