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Sister Sox

Titel: Sister Sox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
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Honecker aus. Große dunkle Brille, ein weißes Hemd mit Variokragen, eine graue zerknautschte Hose, wahrscheinlich aus Dralon. Ich ließ ihn los und half ihm hoch.
    – Herr Gossec?
    Ich nickte.
    – Leibowitz. Gerichtsvollzieher. Ich habe eine Pfändung vorzunehmen.
    Ich stieß pfeifend den Atem aus, stoßweise, als arbeitete ich mit schweren Hanteln. Das Leben hielt immer wieder neue Überraschungen bereit. Man sollte sich nie über Langeweile beklagen. Ein Lachen schüttelte mich durch. Es brach heftig aus mir heraus, göttlich geradezu, so wie es die Herren da oben lachen, wenn ihnen das irdische Gewürmel auf den Senkel geht.
    – Bedienen Sie sich. Hier am Boden, alles Ihres.
    Leibowitz öffnete seine Aktentasche, entnahm ein Papier.
    – Sie haben im November letzten Jahres die Vorderbremsen Ihres Fahrzeugs bei der Firma Nosstack neu belegen lassen. Diese Rechnung wurde nie bezahlt.
    – Weil nichts gemacht wurde, schrie ich.
    – Ich bin nicht befugt, dazu Stellung zu nehmen. Der Vollzugsbescheid ist gestempelt und unterschrieben. Voll gültig also. Hier sehen Sie.
    – Wie viel?
    – Dreihundertzwanzig Euro und fünfzehn Cent.
    – Und wenn nicht?
    – Wir könnten auch Ihr Fahrzeug pfänden.
    – Okay. Wie wäre es mit einem Scheck?
    Leibowitz schüttelte den Kopf und versuchte, wie Bargeld zu lachen.
    – Dürfen wir gar nicht. Bares, Handfestes – sonst bekommen Sie mich nicht aus dem Laden.
    Ich überlegte. Dann fiel mir der Schmuck ein. Eine prächtige Brosche war darunter. Sicher original Neugablonz. Aberich konnte es ja versuchen. Der Dumme probiert’s, heißt es in Bayern.
    – Schmuck? Eine Granatbrosche?
    Leibowitz kräuselte skeptisch die Lippen. Ich ging zur Ladentheke, holte die Brosche aus der Schatulle und reichte sie ihm.
    – Wie viel?
    – Gut und gern fünfhundert Euro.
    Leibowitz zuckte die Achseln und füllte eine Quittung aus. Ich unterschrieb. Das war immerhin Zeitgewinn. Bis mir das Glasding um die Ohren flog, vergingen mindestens zwei Wochen. Leibowitz verschloss seine Tasche und reichte mir die Hand. Ich folgte ihm und schloss den Laden. Nun war ich mit meinem Chaos alleine.

13
    Ich füllte die Espressokanne. Die Vierergröße. Als der starke Kaffee durchgezischt war, goss ich alles in eine große Tasse und setzte mich auf meine Liege. Ich drehte mir eine Zigarette und schlürfte das heiße Gebräu. Wenn man nicht gerade Urlaub machte oder im Wirtsgarten saß, war der August eine grottenschlechte Zeit. Aber so extrem Minus wie in den letzten Tagen hatte ich lange nicht gemacht. Hin und wieder stellte ich mir die Sinnfrage, warum ich mir das überhaupt antat. Aber diese Frage endete immer in derselben Sackgasse: Weil ich es so wollte. Irgendwo unter dem Gerümpel lag die Broschüre mit dem original Dalai-Lama-Personality-Test. Anfangs zierte ich mich ein wenig, dann machte ich ihn trotzdem. Zu meinem Lieblingstier hatte ich den Tiger erkoren. Das Schwein stand definitiv an letzter Stelle. Stolz ganz oben, Geld ganz unten. Die Krallen waren nur etwas stumpf zur Zeit.
    Das Tolle an starkem Kaffee war, dass man spürte, wie der Hebel mit einem Ruck nach vorne auf Vollgas geschoben wurde, eine Art Kickstart für den dahin mickernden Kreislauf. Hinterher lief alles auf einem höheren Niveau. Das musste ausgenutzt werden. Ich stand auf, warf das Kleinholz auf einen Haufen und sortierte die Papiere.
    Den Müll verstaute ich in einem großen blauen Plastiksack und schleppte ihn in den Hof. Als ich alles in die Tonne gewuchtet hatte und wieder zum Laden schlappte, stand Carmello vor mir.
    – Mann, Junge, geh mir bloß aus den Augen. Ich hab schon genug Scheiße an der Fußsohle kleben.
    Carmello bot ein Bild des Jammers. Er war blass, trug einen Kopfverband, und unter seinen offenbar hastig angezogenen Klamotten guckte ein Krankenhaushemd hervor. Er sagte gar nichts, sondern ging schwankend wie ein alter Maat auf hoher See zu seiner Vespa. Offenbar war er aus dem Krankenhaus ausgebüxt und stand noch unter Medikamenten. Er stolperte fast über einen Stein und setzte sich auf seine Vespa, um zu verschnaufen. Dass er nun auch noch zu weinen anfing, so weit wollte ich es nicht kommen lassen.
    – Okay, rein mit dir.
    Ich winkte ihm, und er folgte mir in den Laden. Ich stellte ihm im Nebenraum eine Liege auf, gab ihm eine Decke und sagte, er solle sich erst mal ausschlafen. In dieser Hinsicht war er noch ein Kind. In der Krankheit wird getan, was die Eltern wollen. Während er schlief,

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