Sisters of Misery
geschmiert haben. Kein bisschen«, sagte Tess ernst. »Schon damals, als sich die ersten Siedler in Neuengland niederlieÃen, wurde erzählt, dass die Einwohner Hawthornes jeden Fremden, der es wagte, in ihre Stadt zu kommen, aufs Ãbelste terrorisierten. Wer nicht einer von ihnen war, den bewarfen die Frauen und Kinder mit Steinen, und die Männer gingen sogar noch brutaler und grausamer vor und begingen die unaussprechlichsten Taten. In Hawthorne waren Fremde noch nie willkommen.« Sie schwieg einen Moment. »Ich hätte es besser wissen müssen und Rebecca und Cordelia niemals hierherholen dürfen. Dieser Ort ist für uns alle eine Falle.«
Maddie wusste, dass Tess als junge Mutter und Ehefrau nichts auf der Welt lieber getan hätte, als aus Hawthorne fortzuziehen. Das Einzige, was sie die endlos langen Tage und Nächte überstehen lieÃ, während Jack auf See war, war ihr Plan, nach seiner Rückkehr gemeinsam um die Welt zu reisen. Nur sie, Jack, ihre Tochter Rebecca und das ungeborene Kind - von dem Jack noch nicht einmal etwas wusste -, das in Tessâ Bauch heranwuchs.
Aber leider verwandelte sich ihr Traum von einem Leben fernab dieser Stadt schon sehr bald in einen Albtraum. An dem Tag, an dem Jack nach Hawthorne zurückkehren sollte, stellte Tess sich immer wieder ans Fenster und hielt nach seinem Schiff Ausschau, während sie sich auf die Reise vorbereitete
und all ihre Habseligkeiten in Kisten verpackte. Das Meer und der Himmel waren an jenem Nachmittag von demselben Schiefergrau und schienen fast nahtlos ineinander überzugehen.
»Die Farbe des Todes«, sagte Tess wissend und berichtete von einem Schrei, einem Stöhnen, einem Wehklagen, das sich über den Horizont erhob und - für andere nicht wahrnehmbar - tief in ihrem Herzen widerhallte.
»An diesem Tag klopfte der GroÃvater deines Freundes, Matthew OâMalley, an meine Tür. Er brauchte nichts zu sagen. Ich konnte es in seinen Augen lesen. Jack war tot, sein Schiff auf hoher See verschollen. In diesem Moment wusste ich, dass es mein Schicksal war, für immer in Hawthorne zu bleiben. Und genau so kam es.«
Maddie kannte die Geschichte natürlich schon, aber erst jetzt konnte sie die Trauer über den Verlust der groÃen Liebe ihrer GroÃmutter, des Mannes, den sie nie kennengelernt hatte und der trotzdem Teil ihrer Familie war, in ihrem ganzen Ausmaà nachempfinden.
»Ich hätte dich und Cordelia am Halloween-Abend aufhalten sollen«, seufzte Tess. »Wenn ich doch nur nicht eingeschlummert wäre - aber ich bin nun mal eine müde alte Frau.« Als sie traurig den Kopf schüttelte, schimmerte der lange geflochtene graue Zopf, der ihr über die Schulter fiel, wie ein silbriger Fisch. »Ich hätte es euch sagen müssen.«
Maddie lief es kalt über den Rücken. »Uns was sagen müssen?«
Tess wandte ihr den Kopf zu und sah ihr fest in die Augen. »Das Meer hatte an diesem Abend die gleiche Farbe wie an dem Tag, als dein GroÃvater auf See verschollen ist. Aber ihr wart in dieser Nacht nicht am Meer ⦠oder etwa doch?«
Tess hielt einen Moment lang ihren Blick fest. Maddie war verwirrt. Wollte ihre GroÃmutter mit dieser Frage noch mal
prüfen, ob sie in jener Nacht tatsächlich mit Cordelia und den anderen Mädchen schwimmen gewesen war? Was weià sie?, dachte sie schuldbewusst. Doch bevor sie auf die Frage ihrer GroÃmutter etwas antworten konnte, platzte Abigail ins Zimmer.
»Seht nur, was der Weihnachtsmann uns gebracht hat! Komm schnell runter, Maddie, das musst du dir unbedingt anschauen.«
Maddie lieà ihre GroÃmutter allein in ihrem Bett zurück und folgte ihrer Mutter nach unten. Im Wohnzimmer stand eine wunderschön gewachsene Fichte, hinter der jemand kniete, um die Schrauben an dem Ständer festzuziehen. Als er aufstand, erkannte sie überrascht, dass es Finn war.
»Vielen Dank. Was bin ich Ihnen schuldig?« Abigail suchte zerstreut nach ihrem Portemonnaie.
Finn hob seine behandschuhte Hand und schüttelte den Kopf. »Der ist ein Geschenk, Mrs Crane. Nach allem, was Sie dieses Jahr mitgemacht haben, ist es das Mindeste, was meine Familie tun kann, um Ihnen die Feiertage ein wenig zu verschönern.«
Maddie spürte, wie ihre Wangen heià wurden. »Dann richten Sie Ihrer Familie bitte meinen herzlichsten Dank aus«, sagte Abigail und fügte noch ein strahlendes
Weitere Kostenlose Bücher