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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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bucklige Gestalt, die einen Schweif aus flatterndem Klopapier hinter sich herzog.
    Mama stieg aus, eine trockene Stoffwindel unters Kinn geklemmt, und ging mit Tomek auf dem Arm zu den Sanitäranlagen, während Papa und ich unsere Schinkenbrote auspackten. Zehn Minuten später war Mama wieder auf dem Weg zum Auto, doch offenbar merkte sie nicht, dass die seltsame Frauengestalt ihr auf den Fersen war.
    »Bleib stehen, du hast nicht bezahlt!«, krächzte das Weiblein aus Leibeskräften.
    Mama gab ihr zu verstehen, dass sie kein Geld bei sich hatte, indem sie die Innentaschen ihres Jäckchens nach außen stülpte. Als die Frau uns entdeckte, humpelte sie breitbeinig auf uns zu und bückte sich zum heruntergekurbelten Fenster hinab.
    »Deine Frau hat das Klopapier nicht bezahlt!«, klackerte sie schaurig. Papa sah sie ratlos an. »Hast du wenigstens einen Schluck Kaffee für mich?«
    Die nackten Arme der Frau, die von viel zu breiten Schultern herabhingen, erinnerten an verdorrte Äste. Sie trug einen schmutzigen Hausfrauenkittel, unter dem zwei geringelte Strümpfe hervorschauten. Von ihren langen grauen Haaren stand ein dünnes Zöpfchen ab, das von einem Geschenkband zusammengehalten wurde. Mein Vater schraubte den Deckel der Thermoskanne ab und goss ihr dampfenden Kaffee ein, währenddessen sie ungeduldig die spitzen Füße wie eine Schere auf- und zuschnappen ließ.
    »Haben Sie Hunger? Darf ich Ihnen etwas zu essen anbieten?«, fragte Mama freundlich. Lautlos schmatzend ließ die Alte den Blick über die Rückbank streifen. Ein Schauer kroch mir über den Rücken. Ich drückte mein Brüderlein schützend an mich, während ich überlegte, ob unsere dünnen Finger der Hexe überhaupt schmecken würden.
    »Brot … mnjam, mnjam , ja, das nehme ich gern«, sagte sie nur.
    Ich atmete auf. Natürlich war das nicht die babajaga , denn die hauste in russischen Wäldern, in einer Hütte auf Hühnerfüßen. Und die polnische wiedzma wohnte auch nicht in Toilettenhäuschen, sondern am Moor, in hohlen, knorrigen Weiden. Diese Alte, die ihre schlechten Zähne in ein Schinkenbrot grub, war eine ganz gewöhnliche Klo-Hexe.
    »Ihr wollt wohl in den Westen, was?«, fragte sie und reckte neugierig den Hals, als sie ein weiteres Auto auf dem Parkplatz halten sah. »Hört auf mich«, fauchte sie ins Innere des Fiats. »Kehrt besser um!«
    »Warum?«, fragte Mama. In ihrem freundlichen Lächeln lag eine Spur von Verunsicherung.
    »Eeech!«, krächzte die Alte und machte eine wegwerfende Handbewegung. Das Geschenkband in ihren Haaren knisterte im aufziehenden Wind. »Der Mensch soll bleiben, wo er hingehört. An der Grenze werden sie euch sowieso alles abnehmen. Gebt euer Geld lieber mir. Helft einer armen Frau.«
    Eine dunkle Wolke hatte sich unheilvoll über die blasse Sonne geschoben. Mama schaute hilfesuchend zu Papa hinüber, der angestrengt der bitteren Rede des Weibleins lauschte.
    »Bitte haben Sie Verständnis. Wir haben noch einen weiten Weg vor uns«, entschuldigte sie sich dann.
    Wie aufgescheucht flatterte ein Schwarm von Vögeln über das Toilettenhäuschen hinweg, als die Klo-Hexe wütend zu schnauben begann.
    »Ihr wollt mir nicht für meine Warnung danken? Ihr glaubt, ich gebe jedem einen guten Rat?«, krächzte sie in furchterregend hohen Tönen. Vor dem Häuschen kippte geräuschvoll ein metallener Mülleimer um, dessen Inhalt der Wind nun in unsere Richtung wehte.
    »Ich verfluche euch!«, brüllte die Klo-Hexe. »Keine hundert Kilometer soll euer Winzling rollen!«
    Mit einem Satz war Mama ins Auto gesprungen.
    »Fahr!«, befahl sie Papa, und aus der Sicherheit hinter der Scheibe, aber doch mit gehörigem Schrecken in den Knochen sahen wir zu, wie die mit Fäusten drohende, umherspringende Hexe immer kleiner und der Himmel über ihr immer dunkler wurde.
    »Schlechtes Omen«, sagte Papa. »Wenn euch das gerade nicht zu denken gegeben hat, dann weiß ich auch nicht.«
    »Seit wann bist du denn abergläubisch?«, fragte Mama lachend.
    »Ich bin nicht abergläubisch!«, wehrte sich Papa, sagte ihm doch jeder nach, dass er ein Mann der Vernunft war.
    »Und warum wühlt dich der Fluch dieser Alten dann so auf?«
    »Ach was! Fluch … Ich hab doch keine Angst vor solchem Blödsinn. Und jetzt seid bitte wieder ruhig. Ich muss mich auf den Verkehr konzentrieren.«
    Eine furchtbare Ahnung beschlich mich. War es möglich, dass ich den Fluch der Klo-Hexe selbst herbeigeführt hatte, indem ich für etwas betete, das verboten

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