Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
spitzen langen Nase, die sich mit einem herben Grinsen kreuzte, hatte sie etwas von einem ausgestorbenen Vogel. Sie trug einen pinken Pullover mit Fledermausärmeln, die mit goldenen Nieten bestückt waren.
»Wir bitten darum. Bitte setzen Sie sich. Bitte schön«, sagte Mama mit der ihr eigenen übertriebenen Höflichkeit.
»Ich bin Dorota. Ogórkowa«, stellte die Frau sich vor. »Und das ist Damian, mein Mann.«
Herr Ogórek war lang und schmal wie die Gurke, nach der er benannt war. Sein Gesicht konnte ich erst sehen, als ich den Kopf in den Nacken legte. Dort, unter einem Getümmel üppiger Locken, versteckten sich zwei riesige Augäpfel hinter trägen, faltigen Lidern.
»Fahren Sie auch nach Deutschland rüber?«, fragte Herr Ogórek, wobei in seinem Mund mehrere Goldzähne sichtbar wurden.
»Ja. Aber wir machen nur Urlaub«, entgegnete Papa und warf Mama einen warnenden Blick zu. »Und Sie?«
»Machen wir Geschäfte«, kicherte Frau Ogórkowa. »Zigarettchen?« Sie streckte meinen Eltern eine gelbe Schachtel hin, auf der ein Kamel abgebildet war.
Mama winkte abwehrend.
»Wir rauchen nicht. Danke.«
»Dann vielleicht einen Drrrrink?«, trällerte Frau Ogórkowa und schüttelte ihre Thermosflasche, in der hörbar Eiswürfel rappelten. Mama zog die Schultern hoch wie ein schreckhaftes Kind.
»Wir … wir trinken keinen Alkohol, wenn wir fahren«, erklärte sie mit einem nervösen Lachen. Frau Ogórkowa runzelte lange die Stirn, dann machte sie »Aaaaah!«, als dämmerte ihr endlich, dass sie einen Sonderling vor sich hatte.
»Rauchen ist super in Westen, sag ich dir. Darf ich doch du zu dir sagen?« Spitz blies Frau Ogórkowa den Rauch an meiner Mutter vorbei.
»Natürlich«, sagte Mama gepresst. »Woher seid ihr?«, fragte sie, um das Gespräch zu retten.
»Bytom«, entgegnete Herr Ogórek.
»Oooh, eine wunderschöne Gegend!«, log Mama, denn Bytom war die rußigste Stadt Oberschlesiens. Oma hatte sogar mal erzählt, dass man dort ohne Gasmaske nicht aus der Tür treten könne. »Wir fahren meinen Bruder besuchen«, verriet Mama.
»Wir fahren nirgendwohin, weil unser maluch hin ist!«, regte Papa sich auf.
»Aber, aber. Spokojnie. Ruhig«, sagte Herr Ogórek und wedelte meinem Vater mit seinen großen, langen Händen zu. »Fährt Auto noch?«
»Fährt noch«, sagte Papa. »Aber lange wird er es nicht mehr machen.«
»Ist kein Problem. Haben wir doch super Abschleppseil in Kofferraum«, sagte Herr Ogórek.
Papa blickte verdattert drein, fast als wäre er enttäuscht, dass keine seiner finsteren Prophezeiungen eintreten würde. Aufmunternd fuhr Herr Ogórek fort: » Maluch erreicht an Abschleppseil höchste Geschwindigkeit. Hast du schon erlebt? Hüpf rein, Kollege. Musst du nur lenken, mach ich dich gleich fest. Rest von Familie kommt in Auto zu uns. Können wir euch bis Eiserne Vorhang ziehen.«
Bei Ogóreks im Auto war es großartig. Dorota und Damian erzählten, dass sie in Polen zwei Kinder hatten, die Bajtek und Isaura hießen. Ich konnte kaum fassen, dass sie ihrer Tochter den Namen des größten Fernsehstars aller Zeiten gegeben hatten. »Die Sklavin Isaura« war eine brasilianische Abendserie, für die sogar Chirurgen mitten in der Operation das Skalpell fallen ließen. Bajtek hingegen war das Pixel-Maskottchen der ersten polnischen Computerzeitschrift, die auch von meinem Vater gelesen wurde. Und als ob das allein nicht schon unfassbar stark gewesen wäre, hatte Frau Ogórkowa mich persönlich gefragt, ob sie mich »Alexis« nennen darf, nach der Figur aus » Dynastia« , auch bekannt als »Denver Clan«. Noch nie hatte ich mich von einem Erwachsenen so verstanden gefühlt.
Dorota Ogórkowa war Friseuse, Damian Ogórek malte Menschen, Landschaften und Ikonen. Das erklärte den bunten Dreck unter seinen Nägeln. Die beiden unternahmen regelmäßig Reisen in den Westen, um »Geschäfte zu machen«, dann kehrten sie wieder nach Polen zurück. Dass meine Mutter die ganze Fahrt über nichts sagte, wunderte mich wenig, schließlich wurde Frau Ogórkowa nicht müde, uns Ungeheuerliches über die Segnungen zu berichten, die Deutschland für uns bereithielt. Hinter jeden Satz setzte sie ein kräftiges »Lux!«, was offenbar ihre eigensinnige Abkürzung für Luxus war.
»In Deutschland gehst du in Parfümerie, darfst du alles draufsprühen, was geht. Riechst du zwei Wochen wie Prostituierte. Lux!«
»Kaufst du viel Senf, musst du keine Trinkgläser kaufen. Lux!«
»Deutsche Fernseher ist
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