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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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groß wie Kuh. Und gibt sieben Programme, Samstagnacht Porno. Lux!«
    Kurz vor der Grenze bat Mama Damian darum, Papa auf gut Glück abzukoppeln. Wir verabschiedeten uns von Ogóreks mit guten Wünschen und herzlichen Küssen.
    »Gott sei Dank«, sagte Mama, als die Familie wieder im maluch vereint war. »Ich hätte es mit diesen vulgären Menschen keine Minute länger ausgehalten. Die konnten nicht mal zwei Sätze geradeaus sprechen.«
    Ich begriff nicht, was Mama meinte. Herr und Frau Ogórek waren die lustigsten Menschen, die ich je kennengelernt hatte. Ihre Sprache klang erfrischend lässig, und sie besaßen das Talent, unterhaltsam zu fluchen, ohne sich zu wiederholen. Doch während ich in ihrem Auto vor Vergnügen quiekte, hatte Mama sich bloß damit abgemüht, Tomek die Hände auf die Ohren zu pressen.
    »Nicht mehr lang bis zum Eisernen Vorhang«, gab Papa kund.
    »Habt ihr das gehört, Kinder? Gleich haben wir es geschafft!« Als Mama sich zu uns drehte, funkelte in ihren Augen hellste, glückseligste Erwartung. Es war bereits dunkel geworden, und ringsum war nur schwarze Finsternis. Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich die zweite Grenze auf, die aus tausend blendenden Lichtkugeln gemacht zu sein schien. Das zweite tankstellenartige Gebilde lag vor uns wie ein Königreich mit seinen Palästen. Überwältigt von diesem magischen Moment, aber auch in Furcht, dass wir kurz vor dem Ziel etwas falsch machen könnten, hielt ich nach dem eisernen Vorhang Ausschau. Doch ich konnte nichts dergleichen entdecken, nicht mal eine eiserne Gardine. Zum zweiten Mal wurde unser Gepäck durchsucht, und Papa musste die Ausweise überprüfen lassen. Der Grenzbeamte lächelte uns unerwartet zu, wir durften weiterfahren. Ich weinte vor Erleichterung. Wir waren in der BRD .
    Wer die von Karren zerfurchten, ungeteerten und schlaglochgebeutelten Straßen Polens nur vom Hörensagen kennt, wird nie vollständig begreifen, welche beflügelnde Euphorie uns auf der westdeutschen Autobahn erfasste. Die überirdische Glätte der Straßen ließ den Fiat wie von selbst dahingleiten. Anstatt wie befürchtet zu bocken, gab er ein fröhliches Hupen von sich, das jeden Zweifel darüber ausmerzte, dass er uns ans Ziel tragen würde.
    Über der Autobahn schwebten riesengroße, leuchtend blaue Schilder, auf denen die Buchstaben so weiß strahlten, als hätte man die Tafeln erst vor Sekunden angebracht. Endlich war auch Tomek aus seinem gleichgültigen Schlummer erwacht und starrte mit geöffnetem Mund auf die blinkenden Warnsignale, die ihm jede Baustelle zur Attraktion machten. Schwärmerisch sah ich den deutschen Autos nach, die uns sausend überholten. Im Rausch der Geschwindigkeit erschienen sie mir wie glühende Sterne, die lange Feuerschweife hinter sich herzogen. Mehrere Stunden dauerte unsere Himmelsfahrt, bis plötzlich zu beiden Seiten ein wahres Lichtermeer aus dem Dunkel tauchte. Beleuchtete Häusersilhouetten wurden majestätisch überragt von bunt strahlenden Schildern, und zwischen all den Lichtern pulsierte ein Leben, das viel echter war als alles, was ich mir bisher vorgestellt hatte.
    »Wirst du deine Freundinnen nicht vermissen, Ola?«, fragte Mama mit erschöpfter, schläfriger Stimme.
    Nur widerwillig dachte ich an Polen, das mir jetzt ländlicher vorkam als je zuvor. »Kein kleines bisschen«, erwiderte ich, das Herz voll blinkender Lichter.

8.
Dojczland
    Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, blickte ich auf einen zerfaserten Lampenschirm, der trostlos von der Decke baumelte. Ich lag auf einer Luftmatratze und schwitzte. Ich schob die Wolldecke beiseite und wunderte mich über den Micky-Maus-Anzug, den ich anhatte. Gegenüber, auf einer Couch, schlief grotesk verknotet mein Bruder Tomek. Aus einem anderen Raum vernahm ich die Stimmen meiner Eltern. Doch erst als ich durch die offene Tür in den Flur lugte, fiel mir wieder ein, wo ich war. Im Flur standen aufeinandergeschichtet mehrere flache, quadratische Kartons, die an der Seite beschriftet waren. »Pizza« hatte Onkel Marek das Gericht genannt, das man nur in den Ofen schieben musste und schon 10 Minuten später fertig auf dem Teller lag. Diese mit verschiedenen Zutaten gekleisterten Scheiben hatte er uns mitten in der Nacht als Willkommensessen serviert. »Eigentlich haben das die Italiener erfunden«, hatte er uns belehrt. »Nationale Küche interessiert hier keinen. Die Deutschen essen am liebsten Italienisch. Oder Chinesisch.« Unter »Chinesisch«

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