Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)
war? Vielleicht wollte Gott mir auf dieser Fahrt eine Lektion erteilen, mich für meinen Hochmut bestrafen und dafür, dass ich kurzzeitig vom Glauben abgefallen war.
Der Himmel hatte die Farbe von Rührei angenommen, als die Abstände zwischen den Autos immer enger wurden. Es war vier Uhr am Nachmittag.
»Gleich sind wir an der DDR -Grenze«, sagte Papa. Ich drückte die Nase ans Fenster und sah zu, wie Lastwagen und andere polnische Fiats zu langen Schlangen zusammenrückten.
»Wie vor dem Lebensmittelladen!«, stöhnte Mama. »Aber viel aufregender, nicht wahr?«
Nach fast zwei Stunden, in denen wir nur meterweise vorangekommen waren, tauchte am Horizont plötzlich etwas auf, das wie eine riesengroße Tankstelle aussah.
»Endlich«, hörte ich Mama seufzen, als das Licht viereckiger Scheinwerfer uns kalt in die Augen strahlte.
Die Grenze bestand aus vielen kleinen Buden unter einer Überdachung aus Wellblech. Ich erblickte Soldaten, die mit Gewehren über der Schulter hin und her schritten. Je näher wir der Kontrolle kamen, desto banger wurde mir. Ein uniformierter Mann mit Taschenlampe öffnete unseren Kofferraum und leuchtete überall hinein.
Am nächsten Büdchen musste Papa unsere Pässe vorzeigen. Der Mann glich die Fotos so lange mit unseren käsigen Gesichtern ab, bis wir uns vor Schreck selbst nicht mehr ähnlich sahen. Doch dann winkte er uns durch. Niemand hatte die Absicht, uns aufzuhalten. Niemand hatte auf uns geschossen. Wir waren in der DDR .
Hinter der Grenze war alles anders, sogar der Himmel. Die Abendsonne hatte glühendes Gold ausgegossen, und zu beiden Seiten der Betonplattenstraße erstreckte sich die Unendlichkeit vorbeifliegender Felder. Statt Schinkenbrot reichte Mama wieder Erdnüsse nach hinten. Es gab nur einen, der keine Erleichterung darüber zeigte, die erste Schwelle überschritten zu haben, und das war diesmal nicht mein Vater, sondern der senfgelbe Winzling. Wie von der Klo-Hexe herbeigeflucht, holperte der Fiat wie ein sturer Bock über die Betonplatten, grummelte und brummte, keuchte und stöhnte, ächzte und röchelte, ganz so, als stünden ihm seine letzten Atemzüge bevor. Immer wieder änderte er ohne Vorwarnung die Fahrtgeschwindigkeit und versetzte dabei unsere Innereien in Aufruhr.
Papa hielt an einem Platz am Waldrand, wo zwei Betontische standen. Einer von ihnen ragte schief aus der Erde, jemand hatte die Sitzbänke herausgerissen.
»Hab ich es nicht gleich gesagt?«, erregte sich Papa. »Wir hätten die Alte ernst nehmen sollen!« Er stieg aus dem Auto und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»Das ist nur ein blöder Zufall«, versuchte Mama ihn zu beruhigen. »So etwas kann doch auf einer langen Strecke immer passieren«, doch in ihrer Stimme schwang so viel Sorge mit, dass Papa nur nervöser wurde. Ich blieb schuldbewusst im Auto sitzen und versuchte den Gedanken zu verdrängen, dass unsere Reise hier schon vorbei sein könnte.
»Raus mit euch, Kinder«, sagte Mama. »Solange Papa den maluch repariert, können wir eine Kleinigkeit essen.«
Ich rutschte auf die Bank des heilen Tisches und ließ mir von Mama aus der dampfenden Thermoskanne Tee mit Gummiaroma einschenken.
»Bis ich herausgefunden habe, was mit dem Wagen nicht stimmt, wird es dunkel und kalt sein, und wir werden alle erfrieren!«, jammerte Papa, während er um den Fiat kreiste wie eine aufgezogene Spielzeugmaus.
»Beruhige dich, Paweł«, versuchte Mama es abermals. »Vielleicht sollten wir einfach Hilfe herbeiwinken.«
»Was?«, schrie Papa. »Wir sind in der DDR . Die verstehen hier kein Wort von dem, was wir sagen.«
»Aber Russisch können die doch auch«, wandte Mama ein.
Bevor Papa etwas erwidern konnte, näherte sich uns ein Auto mit polnischem Kennzeichen, weiße Zahlen und Buchstaben auf einer schwarzen Tafel. Der braune Polonez kam in geringer Entfernung neben dem kaputten Betontisch zum Stehen.
»Das gibt’s ja nicht«, rief Mama entzückt. »Polen! Die hat der Himmel geschickt.«
»Jaja, der Himmel«, knurrte Papa. »Sag mir, wie die uns helfen sollen. Wenn ich den Wagen nicht repariert bekomme, schaffen die es auch nicht.«
Während Mama und Papa darüber stritten, wer ihnen helfen konnte und wer nicht, war ein Paar aus dem Auto gestiegen und kam mit Thermosflaschen in den Händen auf uns zu. Offenbar waren sie Reisende wie wir.
»Guten Abend«, sagte die Frau herzlich krächzend. »Können wir auch sitzen hier?« Mit ihrer blonden Glasfaserlampenfrisur und der
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