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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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Sand. Herausstehende Nägel oder Splitter mussten sie hier nicht befürchten. Auch die Schaukeln waren ganz anders als die, die wir gewohnt waren. Sie wackelten nicht auf rauem Asphalt, sondern standen fest in aufgeschüttetem Sand. Die Sitzfläche war aus Gummi und mit Ketten an einem Holzgerüst befestigt. In sozialistischen Ländern quietschten und knarzten Schaukeln wie alte Folterinstrumente in Gruselfilmen, aber diese hier gaben kein Geräusch von sich.
    »Ola! Tomek! Wir müssen gehen!«, rief Mama nach einer halben Stunde seligen Spiels. Es war an der Zeit, sich auf den Rückweg zu machen, und das war uns nur recht, denn unsere Mägen brummten vor Hunger.
    Onkel Marek führte uns zu einer Imbiss-Bude, vor der eine überdimensionale Plastikwurst stand, die sich selbst Senf auf den Kopf spritzte. Obwohl Mama mit allen Mitteln versuchte, ihn davon abzuhalten, spendierte er jedem von uns eine Portion »Pommes« und ein gekühltes Getränk. Für sich und Papa bestellte er ein Bier, Tomek und ich bekamen eine Cola, und Mama ließ sich schließlich zu einem Wasser überreden.
    Wir waren gerade dabei, unsere »Pommes« in stiller Dankbarkeit zu verputzen, als Mama auf einmal wie weggetreten schien. Ihr Blick war von einer melodramatischen Leere.
    »Ist alles in Ordnung?«, fragte Papa.
    »Da drüben steht ein Typ«, sagte Mama mit Grabesstimme, »der hat ein Loch in der Jeans.«
    Nun sahen wir es auch. An die Theke der Imbiss-Bude gelehnt stand ein Mann, unter dessen rechter Pobacke ein Riss mit weißen, herunterhängenden Fäden verlief.
    »Ich begreife das nicht«, sagte Mama kopfschüttelnd. »Deutschland ist doch ein reiches Land. Wie kann es sein, dass man in einer kaputten Hose auf die Straße gehen muss? Dass der sich nicht einmal Garn leisten kann, um sie zu flicken!« Mamas Augen waren vor Entsetzen und Mitleid mit Tränen benetzt. »Und diese Frisur!«, setzte sie hinzu. Der Mann trug die Haare lang und hinten zu einem Pferdeschwanz gebunden. »Der muss doch irgendeine Frau kennen, die ihm die Haare schneiden kann. Männerschnitte sind doch nicht schwer. Das könnte sogar ich.«
    Mit Blicken verfolgte sie den Mann bis zur Ampel, beobachtete, wie er die Straße überquerte und anschließend in einen roten Porsche Cabriolet stieg.
    »Nein! Das gibt’s doch nicht«, keuchte Mama. Der Mann schob sich eine schwarze Sonnenbrille ins Gesicht, bevor er losfuhr. In einem Wagen, neben dem selbst ein weißer Mercedes erbärmlich wirkte. Onkel Marek hatte die ganze Zeit still in sich hineingeschmunzelt.
    »Eingerissene Jeans sind hier gerade Mode«, erklärte er lachend. »Kommt aus Amerika. Männer mit langen Haaren sind hier auch keine Seltenheit. Ihr werdet noch viele Überraschungen dieser Art erleben. Gewöhnt euch dran!«
    Die nächste Nacht war unruhig. Wir schliefen wieder alle in einem Raum. Mama und Papa auf einem ausgeklappten Sofa, mit Tomek in der Mitte, ich auf der Luftmatratze. Ständig hörte ich meine Eltern leise husten, sich räuspern und schwermütig seufzen. Sie raschelten mit den Kissen und kratzten sich den Schorf von den Köpfen. Als ich mitten in der Nacht erwachte, waren sie in ein Flüstergespräch vertieft.
    »In Polen bin ich Ingenieur. Du bist Lehrerin. Aber was werden wir hier sein? Wir werden niemand sein«, sagte Papa.
    »Das würde ich in Kauf nehmen«, erwiderte Mama.
    »Bist du sicher? Du würdest sogar am Fließband arbeiten?«
    »Ja. Und du? Würdest du lieber dein ganzes Leben lang in dieser gelben Seifenkiste herumfahren? Einen Buckel holst du dir noch da drin. Du hast doch selbst gesehen, dass sich hier die ärmsten Seelen ein besseres Auto leisten können als wir.«
    »Marek hat uns doch erklärt, dass der Typ in Wirklichkeit modisch gekleidet war«, wandte Papa ein.
    »Das glaubst du doch wohl selbst nicht. Also wenn das Mode sein soll, dann …«
    »Lass gut sein«, sagte Papa halb lachend, halb gähnend. »Morgen ist auch noch ein Tag. Ob wir in Deutschland bleiben oder nicht, ist eine Entscheidung, die wir mit klarem Kopf treffen sollten.«

9.
Tag des Herrn
    Die Koffer, aus denen noch gestern Urlaubskleidung gequollen war, lagen nun verschlossen und gegürtet neben dem Sofa. Dabei war es noch nicht mal richtig hell. Tomek schnarchte die Wand an, während aus der Küche schon geschäftiges Gemurmel drang. Ich strampelte mich frei und stand auf, um etwas vom Gespräch mitzukriegen.
    »Seid ihr ganz sicher, dass ihr euch der Herausforderung stellen wollt?«, hörte ich

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