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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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konnten wir uns überhaupt nichts vorstellen. Bis auf Mama, die irgendwo gelesen hatte, dass Hunde und Affen dort als Delikatesse galten.
    Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen und schlich auf Zehenspitzen in die Küche, aus der ein würgendes Gluckern und Plätschern drang. Onkel Marek erklärte meinen Eltern gerade die kafymaszyna . An die Wand gepresst wie ein Spion lauschte ich seinen Ausführungen über das Geheimnis des Kaffeefilters, der es ermöglichte, einen fusselfreien Kaffee zu trinken. Im Sprachkurs habe er gelernt, dass der Kaffeefilter eine deutsche Erfindung war, genau wie der Teebeutel und die Thermosflasche. Als ich es vor Neugier nicht mehr aushielt, platzte ich unvermittelt in die Küche.
    »Ola!«, rief Onkel Marek. »Ich dachte, du wärst längst vor dem Fernseher!«
    »Warum?«, fragte ich verwundert.
    »Es ist Samstagmorgen«, antwortete er geheimnisvoll.
    Er führte mich in sein karg eingerichtetes Wohnzimmer und drückte mir ein Kästchen in die Hand, auf dem es viele verschiedene Tasten zu drücken gab.
    »Das ist eine Fernbedienung«, verriet mir Onkel Marek. »Wenn du so etwas hast, musst du nie wieder vom Sofa aufstehen. Gefällt dir das Programm nicht, schaltest du einfach um.« Er demonstrierte mir das wunderbare Gerät, indem er damit den Fernseher in Betrieb setzte und zwischen mehreren Programmen hin und her schaltete, auf denen ausnahmslos Zeichentrickfilme liefen. Ich war beeindruckt. Wenn ich in Polen Abwechslung haben wollte, konnte ich höchstens zwischen verschiedenen Arten von Testbild wählen. Onkel Marek ließ mich mit der Fernbedienung allein, und ich starrte fasziniert auf das bunte Flimmern. Alle zehn Minuten wurden die Zeichentrickserien von »Werbung« unterbrochen. Das schien eine Art animierter QUELLE -Katalog zu sein. Da war eine Puppe, die ausschied, was ihr zuvor zwei Mädchen in den Mund getröpfelt hatten. Auf die magische Verdauung reagierten die Freundinnen, indem sie »Piiii-piiiii!!!« kreischten und sich vor Begeisterung die Hände an die Wangen schlugen. In einem anderen Film ging es um kleine Spielzeugautos, die so rasend schnell waren, dass sie alles hinter sich in Brand setzten und auf der Flucht unter Wasser die Farbe änderten. Junge Leute flippten völlig aus, nur weil sie in einen Schokoriegel gebissen hatten, und alles, was man trinken konnte, sprudelte in Zeitlupe, schlug Wellen und warf Perlen ab.
    » Reklama ist der Nachteil am Kapitalismus«, sagte Onkel Marek zu meinen Eltern, mit denen er das Wohnzimmer betreten hatte. »Ständig versucht einer, dir was zu verkaufen.«
    Mir war unbegreiflich, was daran schlecht sein sollte. Für mich war jede Sekunde atemberaubend.
    Nach dem Kaffee richtete sich Mama für unseren ersten deutschen Spaziergang her, und Onkel Marek präsentierte Papa, Tomek und mir seinen unglaublichen Schlüsselanhänger. Auf den ersten Blick sah er aus wie eine etwas zu groß geratene schwarze Bohne. Er war so klein, dass man ihn überall verstecken konnte, zum Beispiel unter einer Matratze. Aber
sobald man in den Raum pfiff, gab die Bohne eine piepsende Melodie von sich, die aufmerksamen Ohren verriet, wo sie gerade steckte. Papa kicherte wie ein kleiner Junge, als er es selbst einmal ausprobieren durfte.
    »Den Schlüsselanhänger schenk ich dir, ich habe zwei davon. War ein Werbegeschenk«, sagte mein Onkel, und Papa drückte das Böhnchen an die Brust, als wäre ihm gerade ein Amulett mit Zauberkräften überreicht worden.
    Als Mama endlich aus dem Bad kam, roch es nach Parfüm und Verbranntem. Sie sah aus, als wäre auf ihrem Kopf ein Pudel explodiert. Für den anstehenden Spaziergang hatte sie eine elegante Sonntagsbluse aus glänzendem Stoff und einen schwarzen faltynrok angezogen, darüber einen durchhängenden Wollmantel mit goldenen Paradiesvögeln drauf. Ich zog mir meine graue Strickjacke an und band Tomek die Schühchen. Wir waren bereit, Deutschland gegenüberzutreten.
    Das Erste, was uns draußen ins Auge fiel, war die Unversehrtheit der Bürgersteige. Anders als in Polen waren sie kein Mosaik aus Trümmern, die zufällig zusammenzupassen schienen. Sprünge im Asphalt gab es kaum, und unsere auf Unebenheiten trainierten Füße schienen mühelos dahinzuschweben. Außerdem waren alle Straßen und Wege so unglaublich sauber. Onkel Marek hatte seinen Mercedes weit genug geparkt, so dass wir uns im Vorbeigehen deutsche Häuser ansehen konnten. Der Wohnblock, in dem Onkel Marek lebte, war weit und breit das einzige

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