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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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Haus mit einem Flachdach. Die Familienhäuser hatten richtige Spitzdächer, sie waren voller putziger Winkel, manche hatten sogar Vorsprünge und Erker und urige Fensterläden. Diese Häuser waren keine gefährlich glotzenden Klötze, sondern lieb zwinkernde Schächtelchen. Dass sie alle seitlich aneinandergeklebt schienen, war nicht weniger seltsam als die Vorgärten ohne Zäune. Bei uns auf dem Dorf war noch der kleinste Teil des Grundstücks vor Eindringlingen geschützt. Außerdem schienen die Deutschen eine Vorliebe für kleine dicke Tannen und andere Nadelgewächse zu haben, anders als die Polen, deren Bäume den ganzen Sommer voller Früchte und Kinder hingen.
    Mama stolzierte auf ihren Stöckelschuhen daher wie eine Diva. Aufmerksam setzte sie einen Fuß vor den anderen, drehte den Kopf mal nach links, mal nach rechts und spreizte die Hände ab, als balanciere sie ein Buch auf dem Kopf. Auch im Auto nahm Mama besondere Posen ein, schließlich handelte es sich um einen Mercedes. Auf einer Ottomane sitze man ja auch anders als auf einem Klapphocker. In Onkel Mareks schneeweißem Auto fühlten wir uns wie Superstars. »Lux!«, hätte Frau Ogórkowa gesagt, wenn sie uns hätte sehen können.
    Deutschland zog langsam am Fenster vorbei. Wie seltsam, dass alles, was in Polen überall gleich war, ob man nun in Krakau, Warschau oder Danzig lebte, in Deutschland andere Farben und Formen hatte. Das Gelb, das ich in Polen nur von Butterblumenwiesen kannte, war hier überall: die Wegweiser waren gelb und die Ortsschilder, auch alle Briefkästen und Telefonzellen waren gelb. Das kräftige Rot hingegen, das man an den Betonfassaden meiner Heimat so häufig aufblitzen sah, konnte man hier nur im A der Apotheken finden, die es kurioserweise an jeder Ecke gab. Es war kaum zu fassen: Jede Straße schien ihre eigene Apotheke zu haben, auf manchen Straßen gab es sogar zwei. In Polen erkannte man Einrichtungen, die mit Scheußlichkeiten zu tun hatten, also auch Apotheken, an ihrem kühlen Blau.
    Auch in Deutschland ragten Schornsteine und Schlote zwischen den Häusern empor, aber sie spien keinen schwarzen, stinkenden Rauch, sie hauchten rosa Zuckerwatte in einen klaren Himmel. Und Kruzifixe? Blumengeschmückte Schreine der Heiligen und der Jungfrau Maria? Die gab es hier scheinbar überhaupt nicht.
    Als Ausflugsziel hatte Onkel Marek einen Park bestimmt, der »Botanischer Garten« hieß und voller exotischer Pflanzen war, die wir noch nie zuvor gesehen hatten. Der junge Tag funkelte wie ein Diamant, und der Himmel war mit Gold gepudert. Weiße Rosen und Gewächse, die aussahen wie Palmen, zitterten in der Frische eines Windstoßes, der hin und wieder ein Herbstblatt hinabwirbeln ließ. Gebogene Brücken führten uns über künstliche Bäche, und manchmal schwebten Scharen von bunten Blasen durch die Luft, die Mädchen in bunten Strumpfhosen durch Plastikringe am Stiel pusteten. Wenn ich tief einatmete, öffnete sich eine Tür in meiner Brust, nur einen Spaltbreit, und in mir war ein Tumult, als hätte das hereinsickernde Licht jemanden geweckt, der dort die ganze Zeit eingesperrt gewesen war und nur auf diesen einen Moment gewartet hatte. Ich war durch einen magischen Spiegel getreten. Ich befand mich in einer verzauberten Welt. Es war nicht die Hölle, in die Gott mich geschickt hatte, es war tatsächlich das Paradies.
    Ich versuchte mich an Polen zu erinnern, an Omas Haus, meine Schule, die Teppichstange in Anetas Siedlung, doch die Erinnerung war nicht mehr als ein Traum, der unter den Lidern verwischt.
    Mama wunderte sich, in welch plumper Kleidung deutsche Frauen durch einen so schönen Park wie diesen flanierten. Sie trugen Schuhe ohne Absatz, und als ob das nicht schon genug Gleichgültigkeit gegenüber ihren Beinen ausdrücken würde, hatten viele von ihnen Hosen an, ganz so, als fänden sie Gefallen daran, Männern ähnlich zu sehen. Eine Polin ließ sich nicht einmal von wurmdicken Krampfadern davon abhalten, in der Öffentlichkeit Bein zu zeigen.
    Für Kinder gab es im Park einen Spielplatz, der für viele ältere Jungs aus Polen sicher eine Enttäuschung gewesen wäre: Die Chancen, sich hier interessante Verletzungen zuzuziehen, mit denen man vor seinen Freunden angeben konnte, waren sehr gering. Schaukeln, Wippen und Klettergelegenheiten waren aus glattem Holz und dicken Seilen gefertigt. Die Kinder glitten Rutschen hinab, vorwärts, rückwärts und auf dem Bauch, und landeten dabei jedes Mal unbeschadet im weichen

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