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Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition)

Titel: Sitzen vier Polen im Auto: Teutonische Abenteuer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Tobor
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Onkel Marek fragen.
    »Moment«, murrte Papa. »Hast du uns nicht erklärt, dass alles ganz einfach wär?«
    »Ja … nun. Ich habe vielleicht etwas übertrieben«, gab Onkel Marek zu. »Natürlich bekommt ihr nicht sofort eine Wohnung. Erst müsst ihr ins Aussiedlerlager und euch das Aufenthaltsrecht besorgen. Wenn ich nicht arbeiten müsste, würde ich euch natürlich begleiten …«
    »Also sind wir auf uns allein gestellt. Ohne Deutschkenntnisse. Vielen Dank auch. Weißt du denn wenigstens, wo wir hinmüssen?«
    »Das Lager ist in Hamm. Zwei Stunden von hier.«
    Ich hörte, wie Papa schnaubend seinen Stuhl zurückzog und begann, hitzig auf und ab zu laufen.
    »Tut mir leid. Ich hätte euch vorher sagen sollen, was euch erwartet«, entschuldigte sich Marek.
    »Blödsinn«, sagte Mama entschlossen. »Wenn du uns Angst gemacht hättest, wären wir ganz sicher in Polen geblieben. Und wenn du es innerhalb von zwei Jahren zu einer Wohnung und Arbeit gebracht hast, kann es so schwer nicht gewesen sein.«
    Ich stürzte in die Küche und sah gerade noch, wie Onkel Marek meiner Mutter die Zunge rausstreckte.
    »Wir bleiben in Deutschland?«, fragte ich atemlos.
    »Vergiss es«, giftete Papa.
    »Hör nicht hin. Natürlich bleiben wir. Was glaubst du, warum wir hergekommen sind?«, gab Mama mir fröhlich zur Auskunft. Über Papas Brummen ging sie hinweg wie über das Brummen einer Stubenfliege. »Nun zieh dich an und hol Tomek aus dem Bett. Nach dem Kaffee fahren wir los.«
    Onkel Marek steckte meinen Eltern ein bisschen deutsches Geld zu und schrieb uns seine Telefonnummer auf, damit wir in Kontakt bleiben konnten. Er versprach, uns zu besuchen, sobald wir eine Bleibe gefunden haben würden. Zum Abschied schenkte er mir noch die tolle Kassette, die auf den Fahrten in seinem Mercedes lief. Beschriftet war sie mit » Muzyka zachodnia« : westliche Musik.
    Im Auto reichte Mama die Nüsschen nach hinten, die von der großen Reise übriggeblieben waren.
    »An Luxus wird es uns nicht mehr mangeln«, sagte sie zufrieden.
    »Das werden wir ja sehen«, plärrte Papa. »Ich hoffe, du hast genug Brote geschmiert. Einkaufen können wir an einem Sonntag jedenfalls nicht.«
    »Jesus. Heute ist Sonntag!?«, rief Mama erschrocken. »Wir hätten beinahe die Heilige Messe vergessen.«
    »Ruhe bewahren«, sagte Papa, dem die Erkenntnis nicht weniger zuzusetzen schien. »Finden nicht um elf überall Messen statt? Und das dahinten, das ist doch ein Kirchturm.«
    »Ola, polier dir die Sandalen«, befahl Mama und reichte mir ein Brillenputztuch nach hinten. Dann zog sie einen Kamm aus der Tasche, beträufelte ihn mit etwas Mineralwasser und kämmte Tomek die Haare platt in die Stirn.
    »Fahr schneller!«, herrschte sie Papa an. »Wenn wir uns beeilen, bekommen wir vielleicht noch einen Sitzplatz.«
    Das Dröhnen einer Orgel verriet, dass in der Kirche, die Papa erspäht hatte, tatsächlich eine Messe stattfand. Papa drückte die Klinke herunter, und wir erschraken beinahe, als keine Wand aus schwitzenden Rücken uns zurückdrängte. War die Kirche etwa so geräumig, dass alle Gläubigen hineinpassten? Im nächsten Moment stellten wir erstaunt fest, dass kaum jemand da war. Die Kirche war so spärlich gefüllt, dass manche Bänke komplett leer standen, und wo sie besetzt waren, da reckten kleine ergraute Menschlein ihre Schildkrötenköpfe nach uns, als wären wir die ersten Besucher seit Hunderten von Jahren. Wir bekreuzigten uns in doppelter Geschwindigkeit und rückten verschämt in die hinterste Bank.
    Im polnischen Religionsunterricht hatte die Nonne uns ermahnt, in der Messe nie über die harten Kniebänke zu murren. Die Unannehmlichkeiten des Kniens sollten uns daran erinnern, dass Jesus am Kreuz viel größeres Leid auf sich genommen hatte. In dieser Kirche waren die Knie- und Sitzflächen der Bänke durchweg mit weinroten Polstern überzogen. Offenbar war Gott mit den Deutschen nicht ganz so streng wie mit uns. Aber wie vergegenwärtigten sie sich das Leiden Jesu, wenn es hier nicht mal ein richtiges Kreuz gab? Über dem Altar hingen bloß zwei schlichte, ineinandergekeilte Bretter, die weder eine Inschrift noch einen blutigen Leichnam trugen. In polnischen Kirchen gab es Kreuze über Kreuze. Madonnen ragten aus Blumenmeeren, und aus vergoldeten Bilderrahmen schauten die Heiligen neugierig auf die Sterblichen herab. Aber so arm an Attraktionen wie dieses Gotteshaus war nicht mal die Kirmes in unserem Dorf.
    Es gab kein Gebet, das wir

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